Medtech-INSIDE – Teil 13: Die Therapie der Zukunft
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Sie erscheint einmal im Monat online und in unserem Heft zweimal im Jahr. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als Business-Development-Experte weltweit im Medtech-Sektor vernetzt.
TEIL 13: "Die Therapie der Zukunft – personalisierte Medizin"
Sieht man von eineiigen Mehrlingen einmal ab, ist jeder Mensch genetisch einzigartig. Die Medizin behandelte bisher Patienten jedoch weitgehend nach standardisierten Leitlinien. Differenzierungen gab es, wo man leicht Unterscheidungen beim Menschen vornehmen kann, z. B. bei der Dosierung von Medikamenten nach Geschlecht, Alter und Körpergewicht. Auch Vorerkrankungen versucht man seit langem in die Behandlung mittels Anamnese miteinzubeziehen. Dass ethnische Gruppen aufgrund ihrer Genetik auf bestimmte Medikamente unterschiedlich reagieren, ist ein Fakt, der in der Medizin noch zu wenig Beachtung findet. So besitzen zum Beispiel 86 Prozent der US-Amerikaner asiatischer Abstammung Gene, die sie hochempfindlich für den Gerinnungshemmer Warfarin machen. Bei ihnen ist das Risiko unkontrollierter Blutungen höher als bei den meisten weißen Amerikanern. Auch warum eine Krebstherapie, ein Antidepressivum, ein Asthma- oder ein Diabetesmedikament bei einem Patienten anschlägt, beim anderen jedoch nicht, konnte lange Zeit nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Die Folge waren oft teure Try-and-Error-Therapien mit erheblichen Nebenwirkungen für die Patienten und Kosten für die Gesundheitssysteme.
Die Arbeit mit Biomarkern ist seit Ende der 1990er Jahre ein zentraler Pfeiler der personalisierten Medizin. Sie sind biologische Merkmale wie z. B. Proteine oder Metabolite, die im Blut oder in Gewebeproben analysiert werden können. Auch genetische Konstellationen/Veränderungen kann man hierunter fassen. Ein Biomarker kann krankhafte Veränderungen anzeigen und Aufschluss über Entstehung und Verlauf von Krankheiten geben. Die erste Therapie auf Basis dieses Verfahrens bekam 1997 die Zulassung eines Therapeutikums im Kampf gegen Non-Hodgkin-Lymphome. Mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab begann die antikörperbasierte Therapie. Der Wirkstoff wird inzwischen auch bei rheumatoider Arthritis eingesetzt. Die Zahl der Biomarker wächst stetig und damit die Möglichkeiten der personalisierten Medizin.
Personalisierte Diagnostik
Die personalisierte Medizin beginnt mit einer hochpräzisen Diagnostik, die auch für die Prävention von Krankheiten dienen kann. Diagnostiziert man etwa mit Hilfe des Next Generation Sequencing und Biomarkern ein extrem hohes Risiko für Diabetes 2, kann für den Patienten ein individuelles Vorsorgekonzept in Bezug auf Ernährung, Bewegung und Medikamentierung entwickelt werden. Das Monitoring der Vitalparameter können individuelle Wearables übernehmen.
Möglich wird die personalisierte Diagnostik auch durch den technischen Fortschritt in der Gensequenzierung. Dauerte die Erstsequenzierung des Humangenoms viele Jahre und kostete fast 3 Milliarden USD, so liefert das Next Generation Sequencing dank neuester Methoden und Hochdurchsatztechnologien in wenigen Tagen Ergebnisse und das für einen Bruchteil der Kosten.
Weitere wichtige Verfahren der personalisierten Diagnostik sind neue, präzisere Bildgebungsverfahren wie das PET-CT (PET steht für Protonen-Emissions-Tomographie) zur Beobachtung des Stoffwechsels einer Tumorzelle. Je schneller der Zellstoffwechsel, desto aggressiver der Tumor. So kann auch die Wirksamkeit einer Therapie leicht geprüft werden: Findet kein Stoffwechsel mehr in den Tumorzellen statt, sind diese am Absterben und ungefährlich, die Behandlung war erfolgreich.
Für die Analyse von Stoffwechselveränderungen ist die Metabolom-Diagnostik per automatisierter und KI-unterstützter NMR-Spektralanalysen von zentraler Bedeutung. Auf diesem Gebiet ist die deutsche Numares AG eines der international führenden Unternehmen.
Anwendungsgebiete
Neben dem Hauptanwendungsgebiet der Onkologie finden individualisierte Therapieformen auch bei seltenen Krankheiten, Autoimmun- und Herzkreislauferkrankungen Anwendung. Auch in der Augenheilkunde sind Mediziner dabei, die personalisierte Medizin zu etablieren. Die Hoffnung auf personalisierte Medikamente wie z. B. Antikörper- und vor allem Zell-/Gen-Therapien, ist dort besonders groß, wo es, wie etwa bei seltenen Krankheiten, häufig noch gar keine standardisierten Therapien gibt.
Voraussetzungen für die personalisierte Medizin
Voraussetzung für die breite Etablierung personalisierter Medizin ist zum einen die systemische Datennutzung, die wiederum auf Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) angewiesen ist. Zum anderen ist die Healthcare-Industrie gefordert: die rasante Technologieentwicklung muss in marktfähige Produktinnovationen umgesetzt werden. So muss die Erforschung von krankheitsspezifischen Biomarkern mit der Entwicklung entsprechender Testverfahren einhergehen. Denn bislang sind individuelle Therapieformen leider noch mit hohen Kosten verbunden. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Bedeutung der personalisierten Medizin in Prävention, Diagnostik, Therapie und Prognose stetig zunehmen wird. Denn zum einen muss das Ziel der Medizin bleiben, jeden Menschen individuell bestmöglich zu behandeln. Zum anderen wird die personalisierte Medizin langfristig unsere Gesundheitsversorgung effizienter machen, denn Behandlungen werden wirksamer und Risiken sowie Nebenwirkungen minimiert. Wichtig ist dabei, dass die Pharma-Unternehmen gesundheitsökonomische Betrachtungen bei der Preisgestaltung entsprechend berücksichtigen. Diese Effizienz wird sich positiv auf die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems auswirken: angesichts einer alternden Bevölkerung ein wichtiges Argument.
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Hier geht es zu bisher veröffentlichten Beiträgen der Kolumne:
TEIL 1: "Medtech im Umbruch – die Aufgaben" | erschienen am 5. November 2020
TEIL 2: "US-Zulassung und Erstattung im Schnellverfahren" | erschienen am 3. Dezember 2020
TEIL 3: "Zulassungsverfahren in China" | erschienen am 7. Januar 2021
TEIL 4: "Die deutsche Healthcare-Industrie und Brexit: not amusing" | erschienen am 4. Februar 2021
TEIL 5: "Digitalisierung in der Medizintechnik: Megatrend als Megachance" | erschienen am 4. März 2021
TEIL 6: "Impact Investing: gute Rendite und Gutes tun!" | erschienen am 1. April 2021
TEIL 7: "Kleines Virus, großes Folgen" | erschienen am 6. Mai 2021
TEIL 8: "Digitalisierungstrends im Healthcare-Bereich" | erschienen am 3. Juni 2021
TEIL 9: "KI in der Medizin: Assistent, nicht Konkurrent" | erschienen am 1. Juli 2021
TEIL 10: "Unabdingbar: Sicherheit in einer digitalisierten Medizin" | erschienen am 12. August 2021
Teil 11: "Wearables, Apps & Co: Digitale Werkzeuge einer neuen Medizin" | erschienen am 2. September 2021
Teil 12: "Daten nützen, Daten schützen" | erschienen am 7. Oktober 2021