Medtech-INSIDE – Teil 14: Robotics in der Medizin
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Sie erscheint einmal im Monat online und in unserem Heft zweimal im Jahr. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als Business-Development-Experte weltweit im Medtech-Sektor vernetzt.
TEIL 14: "Robotics in der Medizin"
Über dem Operationstisch sehen wir da eine übergroße spinnenähnliche Maschine. Ihre steril in Plastik verpackten, weißen Roboterarme, an deren Ende sich medizinische Instrumente befinden, bewegen sich gleichzeitig. Ein autonom arbeitender Roboter? Keineswegs. Der Chirurg sitzt ein paar Meter entfernt an einer Bedienkonsole, via Bildschirm und mithilfe sogenannter Joysticks steuert er die Roboterarme. Die hochauflösenden Bilddaten erhält der Operateur von einer 3D-Kamera, die sich an einem der Roboterarme befindet.
Ein Blick zurück
Das roboterassistierte Chirurgie-System daVinci wurde in den 1980er Jahren ursprünglich für das US- Militär entwickelt. Ärzte sollten damit ferngesteuert in Kriegsgebieten operieren. Dieses Ziel ließ sich wegen der zeitlichen Verzögerung bei der Bilddatenübertragung bisher nicht realisieren. Dennoch war die Forschung nicht umsonst. Im Jahr 1999 erhielt daVinci als erstes roboterassistiertes Chirurgie-System die CE-Zulassung in Europa, im Jahr 2000 erfolgte die Zulassung in den USA. Das daVinci-System arbeitet nicht autonom, sondern nach dem Prinzip der Telemanipulation. Eingesetzt wird es vor allem zur Entfernung von Prostata-, Nieren- und Blasentumoren, aber auch in der Gynäkologie und HNO.
Vorteile für Patienten und Operateure
Der Einsatz roboterunterstützter Systeme bietet dem Operateur zahlreiche Vorteile: Neben einer extrem verbesserten Optik durch vergrößertes 3D-HD-Sehen und einer optimierten Ausleuchtung des OP-Gebiets können die eingesetzten Instrumente ohne Tremor geführt werden. Zwar fehlt dem Chirurgen das haptische Gefühl, z. B. spürt er nicht, wie hart oder weich das Gewebe sich anfühlt, doch sind über die optimierten Bilddaten Rückschlüsse auf die Gewebefestigkeit möglich. Durch die Endowrist-Technologie erhält der Chirurg zudem eine wesentlich größere Bewegungsfreiheit der Instrumente als bei der konventionellen Laparoskopie. So ist hochpräzises Arbeiten auf engstem Raum möglich – und das unter ergonomischen Arbeitsbedingungen.
Aber auch für den Patienten ergeben sich Vorteile: So gilt der roboterassistierte minimalinvasive Eingriff als sehr patientenschonend, der Blutverlust während der OP ist deutlich verringert. Patienten benötigen weniger Schmerzmittel, haben eine kürzere Verweildauer im Krankenhaus und eine schnellere Reintegration in Alltag und Beruf.
Neben daVinci von Intuitive Surgical gibt es noch eine Reihe anderer Anbieter, die auf dem Gebiet der roboterassistierten Chirurgie aktiv sind: So bietet Stryker, ein Anbieter von Hüft- und Knieimplantaten, auch Robotik-OP-Systeme für den Orthopädiesektor an. In Kooperation mit dem Roboterhersteller KUKA entwickelte Accuray die robotergeführte Bestrahlung von Tumoren. Das Accuray CyberKnife®-System arbeitet mit Bildführung und computergesteuerter Robotertechnik, um Tumore hochenergetisch zu bestrahlen. Dadurch soll eine extrem genaue Behandlung möglich sein. (Quelle: iData Research 20.3.2021)
Roboter ist nicht gleich Roboter
Neben den sogenannten Telemanipulatoren, bei denen der Chirurg mit Joysticks operiert, gibt es noch andere Robotersysteme, die schon jetzt in der Medizin erfolgreich eingesetzt werden.
In der Röntgendiagnostik beispielsweise spielen Angiographie-Geräte eine bedeutende Rolle. So gilt bei Katheter-Eingriffen das roboterbasierte Angiographie-System Artis Zeego von Siemens Healthcare weltweit als das Standardsystem. Komplexe Röntgentechnologie und Kontrastmittel ermöglichen dem Mediziner bessere und aussagekräftigere Einblicke in Blutgefäße, was zu präziseren Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten führt.
Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Telemanipulator-Systemen und echten automatisierten Operationsrobotern. Auf diesem Sektor hat das schweizerische Medtech-Unternehmen AOT einen Innovationssprung gemacht. So führt das robotergesteuerte Laser-Operationssystem CARLO® schonende Knochenschnitte z. B. bei komplexen Kieferoperationen komplett autonom durch, nachdem der Operateur die präoperative Planung mithilfe hochauflösender Bilddiagnostik vorgenommen hat. CARLO® ermöglicht bisher nicht gekannte Schnittwinkel und Radien, und selbstverständlich kann der Operateur jederzeit eingreifen – gleichzeitig verkürzen sich aufgrund der gewählten Lasertechnologie die Heilungszeiten. Weitere Einsatzfelder wie Neuro, Spine und Orthopädie sind naheliegend und im Fokus.
Auf dem Gebiet der roboterassistierten Diagnostik sollte man auch die Weiterentwicklung hochauflösender Endoskopie-Technik nicht unerwähnt lassen. Das badische Unternehmen Blazejewski ist auf diesem Gebiet erfolgreich unterwegs. In Verbindung mit KI sind Systeme wie dieses ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur semi- bzw. vollautomatisierten Operation.
Roboter in der Reha
Ein anderes robotergestütztes System hat die österreichische Tyromotion GmbH für ein optimales Reha-Training etwa nach einem Schlaganfall oder bei Multipler Sklerose entwickelt. Tyromotion-Systeme sind keine normalen Reha-Geräte, sondern bieten durch gezielten Hightech-Einsatz (Robotik, Sensorik, Virtual Reality, Gamification) eine nicht gekannte Fülle individueller Trainingsmöglichkeiten für den Patienten. Auch hier spielt die Robotik ihre ganze Stärke aus und sorgt außerdem dafür, dass ein Therapeut gleich mehrere Patienten gleichzeitig betreuen kann. Und repetitive Übungseinheiten kann der Patient ohne den Therapeuten absolvieren. Das System registriert dabei jeden Fortschritt und dokumentiert diesen auch für die behandelnden Ärzte und die Krankenversicherung.
Roboter in der Pflege
Im Jahr 2021 gibt es ca. 4,2 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland, im Jahr 2030 werden es rund 5 Millionen sein, Tendenz weiter steigend. Die Hälfte der Pflegebedürftigen wird heute von Angehörigen gepflegt, die andere von rund 568.000 Pflegekräften. Problem: immer weniger Menschen möchten in der Altenpflege arbeiten. Offiziell fehlen schon heute rund 200.000 Pflegekräfte. Können wir mit Robotern die Altenpflege retten?
83 Prozent aller Bundesbürger können sich vorstellen, daheim ein robotergestütztes System einzusetzen, wenn es ihnen ermöglicht, dadurch länger zu Hause zu bleiben. Immerhin 26 Prozent aller Deutschen kann sich mit der Vorstellung anfreunden, auch von Robotern gepflegt zu werden. Die denkbaren Einsatzgebiete von Robotersystemen in Alten- und Pflegeheimen sind äußerst vielseitig: Sie können das Pflegepersonal in der Dokumentation unterstützen, indem sie Audio- und Bilddateien automatisch aufzeichnen. Sie können Liegepositionen anpassen, Sitzwachen übernehmen und bei Bedarf Alarm auslösen. Sie können Patienten zu Untersuchungen begleiten oder Essen transportieren. Auch in der Demenztherapie können sie eingesetzt werden, indem sie vorlesen und Demenzkranke stimulieren oder sie an die Medikamenteneinnahme erinnern.
Ausblick
Nach Einschätzung der dritten Future-oft-Health-Studie von Roland Berger wird im Jahr 2026 etwa jeder achte Euro aller Gesundheitsausgaben in digitale Produkte und Dienstleistungen fließen. Die Studie umfasst dabei Innovationen im gesamten, auch nicht-digitalisierten, medizinischen Spektrum. Die größten Veränderungen werden in den Bereichen Künstliche Intelligenz und digitale Sensoren, bzw. digitales Monitoring erwartet. Die Bedeutung der Robotik für die Medizin wird im Innovations-Mittelfeld gesehen. Verfechter der Robotik in der Medizin wie der Urologe Professor Dr. Klaus-Peter Jünemann vom Uniklinikum Kiel sind von der Zukunft dieser Technologie überzeugt. Er hat 2016 in Kiel das Zentrum für laparoskopische und roboterassistierte Chirurgie gegründet und hat sich von den deutschen Medtech- und Roboter-Herstellern mehr Mut und Flexibilität gewünscht. (Medizin & Technik Mai 2018). Auch ich gehe davon aus, dass die Robotik aus dem Gesundheitssektor in ein paar Jahren nicht mehr wegzudenken ist. Die innovative deutsche Medtech-Industrie sollte diese Entwicklung aktiv mitgestalten, um ihre Chance nicht zu verschlafen.
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Hier geht es zu bisher veröffentlichten Beiträgen der Kolumne:
TEIL 1: "Medtech im Umbruch – die Aufgaben" | erschienen am 5. November 2020
TEIL 2: "US-Zulassung und Erstattung im Schnellverfahren" | erschienen am 3. Dezember 2020
TEIL 3: "Zulassungsverfahren in China" | erschienen am 7. Januar 2021
TEIL 4: "Die deutsche Healthcare-Industrie und Brexit: not amusing" | erschienen am 4. Februar 2021
TEIL 5: "Digitalisierung in der Medizintechnik: Megatrend als Megachance" | erschienen am 4. März 2021
TEIL 6: "Impact Investing: gute Rendite und Gutes tun!" | erschienen am 1. April 2021
TEIL 7: "Kleines Virus, großes Folgen" | erschienen am 6. Mai 2021
TEIL 8: "Digitalisierungstrends im Healthcare-Bereich" | erschienen am 3. Juni 2021
TEIL 9: "KI in der Medizin: Assistent, nicht Konkurrent" | erschienen am 1. Juli 2021
TEIL 10: "Unabdingbar: Sicherheit in einer digitalisierten Medizin" | erschienen am 12. August 2021
Teil 11: "Wearables, Apps & Co: Digitale Werkzeuge einer neuen Medizin" | erschienen am 2. September 2021
Teil 12: "Daten nützen, Daten schützen" | erschienen am 7. Oktober 2021
Teil 13: "Die Therapie der Zukunft" | erschienen am 27. Oktober 2021