MEDTECH-INSIDE – Teil 16: Deutschland führt bei DiGA
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als Business-Development-Experte weltweit im Medtech-Sektor vernetzt.
TEIL 16: "Deutschland führt bei DiGA in Europa"
Kürzlich wurde der aktuelle Bericht der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) vorgestellt. Wieder einmal hagelte es schlechte Noten für Deutschland bei der Digitalisierung. Die Experten bemängeln eine fehlende Digitalstrategie, was sich unter anderem im nichtexistierenden Digitalministerium zeige.
Erfreulicherweise gibt es aber einen digitalen Bereich, in dem Deutschland in Europa führend ist: bei den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Frankreich hat daher angekündigt, das deutsche DiGA-System zum Vorbild zu nehmen; auch Belgien, Liechtenstein und Schweden sind interessiert. DiGA sind Apps auf Rezept, die zum Beispiel helfen sollen, eine Krankheit zu behandeln und zu überwachen. Im Oktober 2020 wurden die ersten DiGA beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet. Mittlerweile sind 30 DiGA auf Rezept erhältlich. Davon sind 20 vorläufig und 10 dauerhaft in die Liste des BfArM aufgenommen.
Das DiGA-Angebot richtet sich bisher vor allem an Patienten mit Krankheiten im Bereich Muskeln, Knochen, Gelenke, Stoffwechsel und Psyche. Rund 70 Millionen Krankenversicherte haben theoretisch Anspruch auf eine DiGA, vorausgesetzt, ihr Arzt stellt das Rezept aus, weil er von der Wirkung überzeugt ist. Tatsächlich zählte der Verband der gesetzlichen Krankenversicherungen GKV aber nur rund 50.000 Verordnungen beziehungsweise Genehmigungen in der Zeit vom 1.9.2020 bis 30.9.2021. Die Aufwendungen hierfür lagen bei ca. 13 Mio. Euro. Im Vergleich zu den Nutzerzahlen von nichtzulassungspflichtigen Gesundheitsapps und Fitnesstrackern ist das ein Witz. Woran liegt das?
Herausforderungen für DiGA-Entwickler
Da sind zum einen die Ärzte, die im schlimmsten Fall von DiGA noch nie etwas gehört haben oder darüber zu wenig wissen. Dies führt zu Skepsis bezüglich ihrer Wirksamkeit, schließlich wird überall evidenzbasierte Medizin verlangt. Ein Anti-Depressivum, das seine Wirksamkeit in großen Studien bewiesen hat, verschreibt sich leichter, weil vertrauter als eine DiGA gegen Depressionen wie die App von Selfapy, die zwar von Patienten gelobt wird, aber im Vergleich zu Big Pharma aufgrund des relativ überschaubaren Marketing-Budgets bei Ärzten weniger bekannt ist. Allerdings zeigt sich, dass die großen Pharma-Konzerne die zunehmende Bedeutung der DiGA erkennen und Kooperationen mit jungen DiGA-Anbietern schmieden.
Auch auf Seiten der Zulassungsbehörden gibt es Handlungsbedarf. DiGA-Entwickler brauchen vom BfArM klare Vorgaben bezüglich Versorgungseffekt und Transparenz sowie kooperative Hilfestellung bei der Zulassung. Ein komplizierter Regulierungsmarathon, an dessen Ende den DiGA-Anbietern die Luft ausgeht, dient niemandem.
Von den Unternehmen wird schließlich erwartet, dass ihre DiGA mehr sind als digitale Selbsthilfe-Manuals mit netten Features. Verlangt werden wirklich innovative Produkte, die Patienten, Ärzte und Kostenträger gleichermaßen überzeugen und gleichzeitig die Effizienz des Gesundheitssystems steigern – was dringend nötig ist. Das erfordert viel Know-how und einen langen finanziellen Atem.
DiGA haben das Potential, unser Gesundheitswesen entscheidend zu verbessern, darin sind sich die Experten einig. Schöpfen wir gemeinsam dieses Potential aus!