Medtech-INSIDE – Teil 3: "Zulassungsverfahren in China"
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Sie erscheint einmal im Monat online und in unserem Heft zweimal im Jahr. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als Business-Development-Experte weltweit im Medtech-Sektor vernetzt.
TEIL 3: "Zulassungsverfahren in China"
Für sehr viele europäische Unternehmen unterschiedlichster Branchen übt China eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Denn sowohl die schiere Größe dieses Marktes als auch die Wachstumsdynamik der chinesischen Volkswirtschaft sind beeindruckend. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich Medizintechnik. Viele europäische Hersteller von Medtech-, Life-Science- und Health-Care-Produkten wünschen sich einen möglichst schnellen, unbürokratischen Eintritt in diesen Markt. Aber geht das überhaupt?
In den letzten fünf Jahren hat sich das Marktvolumen für Medtech-Produkte in China auf knapp 90 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 verdoppelt. Experten gehen auch für die nächsten Jahre von einem überdurchschnittlichen Wachstum aus. Für deutsche Medtech-Unternehmen, die Mehrzahl klassische Mittelständler, belegt China schon jetzt den zweiten Platz in Sachen Exportvolumen, direkt hinter den USA.
Steiniger Weg zur Zulassung
Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen intensiv über eine Zulassung ihrer Medtech- oder Life-Science-Produkte in China nachdenken. Doch Vorsicht: Auch in China ist nicht alles Gold, was glänzt, und es gibt jede Menge Unwägbarkeiten und Fallstricke auf dem Weg zur Zulassung. So ist zum Beispiel die chinesische Regierung grundsätzlich bestrebt, die Kosten für Healthcare-Produkte durch vorgeschriebene Ausschreibungen (volume-based procurement – VBP) der Kliniken zu senken. Eine chinesische Strategie, die bei den ersten Verfahren aufgegangen ist. Die Beschaffungskosten wurden zwischen 30 und 50 Prozent gesenkt: zu Lasten der Margen der ausländischen Medtech-Anbieter, aber vor allem auch der chinesischen Distributoren.
Der klassische chinesische Zulassungsweg ist ein Halbmarathon
Zeit und Kosten für die Zulassung eines Medtech-Produktes in China hängen stark von der Klassifizierung des Produktes ab, das zugelassen werden soll. Für die Zulassung von Produkten der höchsten Risikostufe (Klasse III) sollte man üblicherweise drei bis fünf Jahre einplanen, bis man von der chinesischen Zulassungsbehörde NMPA (National Medical Products Administration) grünes Licht bekommt: eine ziemlich lange Zeit. Erforderliche klinische Studien in China sind ein wichtiger Zeit- und Kostenfaktor im Zulassungsprozess. Daher ist es von Vorteil, wenn man den chinesischen Behörden die geforderten Daten anderweitig vorlegen kann, zum Beispiel durch „real world“-Daten aus einem Land, in dem das Produkt schon erfolgreich eingeführt ist.
Angesichts des komplexen Zulassungsprozesses ist es entscheidend für die Unternehmen, frühzeitig mit der Planung zu beginnen. Je nach Produkt sollten dabei auch alternative, eventuell attraktivere Zulassungsstrategien mit einem Experten geprüft werden. Wie wichtig dies ist, zeigt sich zum Beispiel bei der Auswahl des „NMPA Legal Agent“, also dem Unternehmensvertreter in China, der als Ansprechpartner vor Ort den Kontakt mit der Zulassungbehörde NMPA verantwortet. Ausländische Unternehmen sind gut beraten, sich sehr genau zu überlegen, ob man seinen chinesischen Vertriebspartner mit der sensiblen Aufgabe der Produktzulassung betraut, da der Vertriebspartner in diesem Fall viele vertrauliche Informationen über das Produkt und am Ende sogar die Original-Zulassungsurkunde erhält. Reicht er diese Urkunde nicht an den ausländischen Partner weiter, sichert sich der Vertriebspartner das exklusive Vertriebsrecht für China durch die Hintertür. Man sollte sich dieser und anderer Fallstricke bewusst sein. Denn es gibt auch Alternativen. Zwei Beispiele:
Chinesische Überholspur für Innovationen?
Um wichtige medizinische Innovationen schneller auf den chinesischen Markt zu bringen, bietet die NMPA auch schnellere Verfahren an. So müssen etwa bestimmte, auf der sogenannten „exemption list“ stehende Produkte keine zusätzlichen klinischen Studien in China durchführen, sofern die außerhalb Chinas durchgeführten Studien den Anforderungen der Zulassungsbehörde entsprechen. Man sollte dies schon bei der Planung seiner klinischen Studie im Westen im Hinterkopf haben. Ist das Medtech-Produkt des ausländischen Herstellers bereits in einem anderen Land zugelassen, besteht die Möglichkeit, „real world“-Daten anstelle klassischer klinischer Studien in China zu nutzen. Klingt einfach, doch auch hier steckt der Teufel im Detail. Viel Erfahrung und Verständnis der chinesischen Verhältnisse sind hilfreich.
Hongkong – schneller Umweg nach China?
Eine relativ neue Zulassungsmöglichkeit ist die sogenannte „Greater Bay Area“-Initiative. Die Greater Bay Area (GBA) ist ein Cluster an der chinesischen Südküste mit 11 Millionenstädten, darunter Hongkong. Als deutscher Medtech-Hersteller kann man sein Produkt relativ zügig in Hongkong registrieren lassen, wenn man eine CE- oder FDA-Zulassung vorweisen kann. Diese Zulassung beeinhaltet die Erlaubnis, das Produkt in der Greater Bay Area zu vermarkten, einer Metropol-Region mit mehr als 70 Millionen Einwohnern und einer beeindruckenden wirtschaftlichen Größe.
Der Hongkong-Weg eröffnet ausländischen Unternehmen die Möglichkeit einer Zulassung für die gesamte Volksrepublik China, ohne dass weitere klinische Studien in China notwendig wären. Denn die Zulassung in der Greater Bay Area ermöglicht die Gewinnung von „real world“-Daten, die von der chinesischen NMPA akzeptiert werden. Gleichzeitig kann das ausländische Unternehmen schon Umsätze in der Greater Bay Area generieren.
„Wenn Du es eilig hast, mache einen Umweg“ lautet ein japanisches Sprichwort. Der Umweg über die Greater Bay Area kann also eine durchaus schnelle und attraktive Variante für einen erfolgreichen Eintritt in den chinesischen Medtech- und Life-Science-Markt sein – vorausgesetzt die chinesische Regierung etabliert diesen Sonderweg voll und ganz.
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Hier geht es zu bisher veröffentlichten Beiträgen der Kolumne:
TEIL 1: Medtech im Umbruch – die Aufgaben | erschienen am 5. November 2020
TEIL 2: US-Zulassung und Erstattung im Schnellverfahren | erschienen am 3. Dezember 2020
TEIL 4: Die deutsche Healthcare-Industrie und Brexit: not amusing | erschienen am 4. Februar 2021
Teil 5: Digitalisierung in der Medizintechnik: Megatrend als Megachance | erschienen am 4. März 2021