
MEDTECH-INSIDE – Teil 16: Deutschland führt bei DiGA
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als...
Medtech-INSIDE – Teil 9: "KI in der Medizin: Assistent, nicht Konkurrent"
André Zimmermann, SHS
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Sie erscheint einmal im Monat online und in unserem Heft zweimal im Jahr. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als Business-Development-Experte weltweit im Medtech-Sektor vernetzt.
Im Jahr 1966 schrieb der Deutsch-Amerikaner Joseph Weizenbaum am MIT in Boston erstmals ein Programm, das zeigen sollte, dass Mensch und Computer in natürlicher Sprache miteinander kommunizieren können. Er nannte es ELIZA, und es galt als weltweit erste Simulation eines Psychotherapeuten. ELIZA war einfach, hat die Menschen aber stark beeindruckt und ihnen einen Vorgeschmack davon gegeben, was auf dem Gebiet der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz (KI) möglich ist.
55 Jahre später ist die KI dabei, die Medizin und damit auch die Healthcare-Industrie zu revolutionieren. Digitalisierung, KI und Robotik werden häufig in einem Atemzug genannt. Damit verbunden sind große Hoffnungen, aber auch diffuse Ängste. Wird Krebs endlich heilbar? Wird die KI Ärzte und Pfleger ersetzen? Wer garantiert die Sicherheit unserer Daten? Und was genau ist eigentlich KI?
Künstliche Intelligenz (englisch: Artificial Intelligence, kurz AI) ist ein Teilgebiet der Informatik. Rechner sollen mit kognitiven Fähigkeiten ausgestattet werden und intelligentes menschliches Verhalten imitieren. KI kann auf fest vorprogrammierten Abläufen basieren (wie beim Schachcomputer Deep Blue von IBM) oder aber auf selbstlernenden Prozessen (Machine Learning, kurz ML). Voraussetzung für KI sind große Datenmengen, auch BIG DATA genannt, und eine hohe Rechenleistung. Der Algorithmus lernt dann, mit Hilfe der eingespeisten Datensätze selbstständig eine Aufgabe zu lösen. Die Steigerung dazu ist Deep Learning (DL). Hier sind die Lern-Algorithmen den neuronalen Netzen in unserem Gehirn nachempfunden. Neuronale Netze bestehen aus Datenknoten mit gewichteten Verbindungen, die untereinander verknüpft sind. Das neuronale Netz wird mit jedem bearbeiteten Datensatz besser, vereinfacht ausgedrückt: Je mehr und je variabler der Input, desto besser der Output.
KI in Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge
In der Medizin können KI-Systeme in den verschiedensten Bereichen eingesetzt werden. Die Mehrzahl der Ärzte und Patienten versprechen sich deutliche Verbesserungen in Forschung, Prävention, Diagnose und Therapie. Gleichzeitig kann die Technologie dazu beitragen, Gesundheitssysteme effizienter zu machen, um Kostensteigerungen entgegenzuwirken.
Radiologen sprechen von KI als disruptivem Game Changer, der besonders die Behandlung von Krebs rasant weiterentwickeln wird. Die großen Rechnerleistungen in Verbindung mit riesigen Datenbanken machen etwa den Einsatz bestimmter Algorithmen zur Bildanalyse erst jetzt möglich. In der Früherkennung von Brustkrebs oder bei der Befundung von Thorax-CTs attestieren Experten der KI schon jetzt eine sehr gute Treffsicherheit. Interessant: die KI wird von Medizinern, die damit arbeiten, nicht als Konkurrent, sondern als Assistent gesehen. Der Radiologe spart mit KI Zeit für die wirklich komplexen Fälle und kann sich mehr um den Patienten kümmern.
Auch in Labor und Pathologie können KI-Systeme zu präziseren und schnelleren Ergebnissen führen. Vor allem dann, wenn riesige Datenmengen anfallen, die von einem Menschen schlicht nicht mehr bewältigt werden können. Wie z. B. bei der Analyse von Schnittbildern oder der Identifikation komplexer Biomarker. Auch Patienten mit sehr seltenen Krankheiten könnten zukünftig von KI profitieren. Denn beim Durchforsten weltweiter medizinischer Datenbanken könnte eine entsprechend trainierte KI innerhalb kurzer Zeit Zusammenhänge und Unterschiede zwischen einzelnen Patienten und deren Therapien aufdecken. Gerade in diese personalisierte Medizin, die im Idealfall mit einem digitalen Zwilling des Patienten arbeitet, setzen Mediziner große Hoffnungen.
KI im OP
Im und um den OP-Saal herum, werden KI-Systeme zunehmend eingesetzt, um die Patientenversorgung zu verbessern und die Abläufe in der Klinik zu optimieren. Dies reduziert einerseits mögliche Risiken und Fehlerquellen; andererseits können Kliniken auf diesem Wege mehr Patienten helfen. Entsprechende Lösungen werden inzwischen von einer überschaubaren Anzahl an Unternehmen angeboten, wie z. B. von der Firma Incision aus den Niederlanden. Die von Incision entwickelten Lösungen zur Optimierung der Prozesse im OP-Saal werden bereits von zahlreichen Kliniken in vielen Ländern eingesetzt. Ziel ist es, die Patientenversorgung zu verbessern, die Effizienz in den Kliniken zu steigern und das OP-Fachpersonal auf allen Ebenen als Team so optimal wie möglich agieren zu lassen.
Hier wie bei zahlreichen anderen Beispielen zeigt sich, dass die KI immer assistierend agiert. Ärzte und das weitere Fachpersonal sollen nicht ersetzt werden. Mediziner allerdings, die in Zukunft nicht mit KI arbeiten, laufen Gefahr, von Ärztinnen und Ärzten ersetzt zu werden, die dies tun.
Ethik und Datenschutz
Wichtig beim Einsatz von KI in der Arztpraxis oder in der Klinik ist, und das betonen Mediziner und verantwortungsbewusste KI-Entwickler gleichermaßen, dass das KI-System nicht wie eine Black Box arbeitet. Alles, was die KI macht oder vorschlägt, muss vom System begründet werden. Der Arzt muss immer nachvollziehen können, wie die KI zu ihrem Ergebnis kommt. Denn er ist die letzte, entscheidende Instanz.
Was die Datensicherheit und die ethischen Aspekte der KI-Anwendung angeht, muss abgewogen werden zwischen Patientennutzen und Datenschutz. Das sollte den Fortschritt jedoch nicht bremsen, wie der deutsche KI-Experte Richard Socher betont, der im Interview mit dem Magazin brandeins darauf hinweist, dass Datenschutz und ethische Überlegungen die KI-Entwickler zu mehr Nachdenken zwingen und sie so innovativer machen.
Wachstumsmarkt KI in der Medizin
US-amerikanische Healthcare-Experten von Grand View Research schätzen den globalen KI-basierten Healthcare-Markt auf 6,7 Mrd. US-Dollar und prognostizieren ein jährliches Wachstum (CAGR) von 41,8 Prozent von 2021 bis 2028. Das sind beeindruckende Zahlen. Es wäre wünschens- und erstrebenswert, dass die europäische Healthcare-Industrie die Möglichkeiten von KI-basierten Systemen nutzt und ihre Innovationskraft einsetzt, um intelligente Systeme (Geräte, Instrumente, Robotersassistenten, Softwarelösungen) zu entwickeln. Europa muss sich hinter China und den USA nicht verstecken!
Das letzte Jahr hat die essentielle Bedeutung eines starken Healthcare-Sektors und eines leistungsfähigen Gesundheitswesens unmissverständlich klar gemacht. Die Medtech-Unternehmen in Deutschland und Europa sollten ihre Chance ergreifen und sich jetzt mit Fachwissen und, wo notwendig, auch mit Eigenkapital verstärken. Die Zeit des Zögerns ist vorbei, Handeln ist angesagt, um die sich bietenden Chancen zu ergreifen!
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Hier geht es zu bisher veröffentlichten Beiträgen der Kolumne:
TEIL 1: Medtech im Umbruch – die Aufgaben | erschienen am 5. November 2020
TEIL 2: US-Zulassung und Erstattung im Schnellverfahren | erschienen am 3. Dezember 2020
TEIL 3: Zulassungsverfahren in China | erschienen am 7. Januar 2021
TEIL 4: Die deutsche Healthcare-Industrie und Brexit: not amusing | erschienen am 4. Februar 2021
TEIL 5: Digitalisierung in der Medizintechnik: Megatrend als Megachance | erschienen am 4. März 2021
TEIL 6: "Impact Investing: gute Rendite und Gutes tun!" | erschienen am 1. April 2021
TEIL 7: "Kleines Virus, großes Folgen" | erschienen am 6. Mai 2021
TEILl 8: "Digitalisierungstrends im Healthcare-Bereich" | erschienen am 3. Juni 2021
Medtech-INSIDE ist die Finanzkolumne von medtech zwo. Unser Autor ist Dr. André Zimmermann, Partner beim Tübinger Brancheninvestor SHS und als...