Die additive 3D-Fertigung geht immer weiter Richtung Industrialisierung. Der 3D-Druck punktet vor allem bei Produkten, die schnell und günstig produziert werden sollen.
Mit rasanter Geschwindigkeit entwickelt sich die additive Fertigung des 3D-Drucks im medizinischen Bereich. „Die Technologie wird immer mehr zu einem echten Industriethema“, sagt Michael Eichmann, Director Business Development beim 3D-Druck Spezialisten Stratasys. Er und viele andere Experten unterstreichen, dass in den letzten fünf Jahren enorme Fortschritte vom anfänglichen Prototypenbau hin zur Serienfertigung erzielt worden sind. Und das zeigt sich inzwischen auch beim Tempo, mit dem Hersteller neue Geräte und Funktionalitäten auf den einschlägigen Messen vorstellen – etwa bei der Formnext Ende November in Frankfurt am Main. Hier wird beispielsweise der Werkzeugmaschinen-Hersteller Trumpf eine erweiterte Funktion seines 3D-Druckers TruPrint 1000 vorstellen, der eine automatisierte Serienproduktion erlaubt. Anwender können damit Substratplatten automatisch wechseln, wodurch Prozesse hintereinander und somit auch über Nacht laufen können. Das wiederum spart den Firmen Zeit, Personal und Ressourcen – vor allem in der Zahnmedizin. „Mit unserer Lösung tragen wir zur Industrialisierung der additiven Technologien in der Dentalindustrie maßgeblich bei“, betont Florian Krist, Produktmanager bei Trumpf Additive Manufacturing.
Megatrend: Investition 3D-Druck
Die additive Fertigung befindet sich also in einem nächsten großen Schritt. Immer mehr medizinische Unternehmen erkennen das Potential des 3D-Drucks. Zuletzt vermeldete Evonik Venture Capital sein erstes Direktinvestment in ein chinesisches Start-up und die erste Beteiligung mit dem zweiten Fonds, den der Wagniskapitalgeber 2019 aufgelegt hat. Dabei fließt ein einstelliger Millionenbetrag in die 3D-Firma Meditool aus Shanghai. Dort werden Hardware- und Softwaresysteme entwickelt, die aus MRT- und CT-Bildern ein druckbares 3D-Modell generieren. Ein 3D-Drucker fertigt anschließend Implantate – unter anderem mit dem von Evonik gelieferten Hochleistungspolymer Polyetheretherketon (PEEK). „Die Technologie von Meditool passt perfekt zu unserer Strategie, unser Geschäft auf Hightech-Anwendungen für unsere 3D-Druckmaterialien auszuweiten“, sagt Thomas Grosse-Puppendahl, Leiter des Innovationswachstumsfelds Additive Manufacturing bei Evonik. Die gefertigten Implantate für die Neuro- und Wirbelsäulenchirurgie sind mit 3D-Druck individuell auf den Patienten abstimmbar. Dies reduziert weitere Eingriffe, um Größe, Form oder Position des Implantats anzupassen.
PEEK, auch unter dem Namen VESTAKEEP® vermarktet, besitzt zudem eine geringere Wärmeleitfähigkeit als Metall, ist röntgendurchlässig und biokompatibel. Dass eine Investition von Evonik in China erfolgt, kommt nicht von ungefähr. Mit erwarteten jährlichen Wachstumsraten von 10 bis 15 Prozent ist China der zweitgrößte Markt für medizinische Implantate. „Evonik sichert sich mit dem Wagniskapital so den Zugang zu den disruptiven Technologien“, sagt Bernhard Mohr, Leiter von Evonik Venture Capital. Für die Chinesen wiederum ist Evonik ein guter Partner, um weiter zu wachsen. „Meditool gehört zu den Vorreitern bei der Entwicklung von 3D-Druckverfahren für medizinische PEEK-Implantate“, sagt Ken Jin, Mitbegründer und Chief Technology Officer von Meditool. „Evonik ist dabei unser zuverlässiger Partner für qualitativ hochwertige Materialien. Die Investition gibt uns einen zusätzlichen Schub, innovative Lösungen für Patienten und Chirurgen in China und dem Rest der Welt zu entwickeln.“
Klärungsbedarf bei rechtlichen Fragen
Mit dem wachsenden Markt von 3D-Produkten stehen zunehmend Themen wie Software-integration, Normen und Standards auf der Tagesordnung vieler additiver Fertigungshersteller. Dies gilt auch mit Blick auf rechtliche Fragen. So wird derzeit im Europäischen Parlamentes diskutiert, wer verantwortlich ist, wenn ein mittels 3D-Druck angefertigtes Objekt jemanden verletzt – der Designer, der Besitzer oder der Hersteller des Druckers oder derjenige, der es gedruckt hat? Das EU-Parlament hat dazu bereits Ende Juni beinahe einstimmig einen „Entschluss über den dreidimensionalen Druck, eine Herausforderung in den Bereichen Rechte des geistigen Eigentums und Haftpflicht (2017/2007 (INI))“ gefasst.
Die Chancen und Risiken der Additiven Fertigung werden nun im Rechtsausschuss des Parlamentes beraten. Außerdem verlangt der Verband 3D-Druck e.V. als Interessensvertretung aller Akteure rund um die 3D-Druck-Technik in Deutschland: „Ähnlich wie Software gilt es, 3D-Datensätze urheberrechtlich zu schützen“, sagt Markus Wiedemann, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Finanzvorstand des Verbandes. „Auf europäischer Ebene wäre es wünschenswert, den 3D-Druck auch im Lichte der Know-how-Schutzrichtlinien (Richtlinie (EU) 2016, 943) zu betrachten, da durch stetig verbesserte 3D-Scans und den 3D-Druck Gefahren für das geistige Eigentum der Entwickler bestehen.“ Besonders bei Medizinprodukten mit Design-Freiheit für individuelle und personalisierte Produkte sind 3D-Druck-Alleinstellungsmerkmale von großer Bedeutung. Hier fordert der Verband eine klare Regelung zur Unterstützung und Förderung der additiven Fertigung.
Passgenaue Implantate für die Klinik
Wie ambitioniert die Ziele in diesem Bereich sind, zeigt das neue 3D-Druck-Zentrum des Universitätsklinikums Graz in Österreich. Denn die Universitätsklinik und die Medizinische Universität Graz sowie Maschinenbauer und Industriepartner wollen personalisierte und passgenaue Implantate in kürzester Zeit und unmittelbar neben der Chirurgie drucken. Im Rahmen des Projektes „CAMed“ (Clinical Additive Manufacturing for Medical Applications) werden 5 wissenschaftliche und 13 Unternehmenspartner aus dem In- und Ausland an insgesamt sechs Einzelprojekten arbeiten. Der erste Schritt zum 3D-Druck-Labor bilden zwei neue 3D-Drucker für Forschungszwecke direkt „im Zentrum der Uniklinik“, so die Projektleiterin Ute Schäfer, Professorin und Leiterin der Experimentellen Neurotraumatologie an der MedUni Graz. Dabei liegt der Forschungsschwerpunkt auf der Entwicklung und Etablierung der Prozesskette des 3D-Drucks für spezielle Anwendungen. So sollen im Fokus des Projektes zum Beispiel Rippenersatzteile aus Polymeren und Metalllegierungen sowie kieferorthopädische Implantate für Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten stehen.
Einsatz in der Neurochirurgie
In bestimmten Bereichen der Medizin ist der Einsatz von 3D-Druck besonders vorteilhaft, denn hier ist eine schnelle Behandlung zwingend erforderlich. Neurochirurgen am Uniklinikum Leipzig (UKL) fertigen beispielsweise zusammen mit der vom Fraunhofer IWU entwickelten Technologieplattform next3D Kunststoffprothesen innerhalb von 24 Stunden. Diese Plattform beinhaltet eine softwaregestützte Prozesskette, die medizinisches Bildmaterial auswertet und in dreidimensionale Druckvorlagen überträgt. Das erste hier am UKL entwickelte Produkt war ein individuell passendes System für neurochirurgische Eingriffe.
Inzwischen können individualisierte Stereotaxie-Systeme für zehntelmillimeter-genaue Eingriffe am Gehirn gefertigt werden. „Diese Geräte kommen besonders bei Hirnstimulationen zum Einsatz und ermöglichen es uns, sehr präzise an bestimmten Stellen im Hirn erkrankte Strukturen mittels wohl dosierter Strömen zu behandeln und den Patienten die Kontrolle über ihre Bewegungen wiederzugeben“, erklärt Dirk Winkler, Spezialist für funktionelle Neurochirurgie am UKL. Die herkömmlichen standardisierten Geräte für diese Eingriffe sind hochkomplex, erfordern eine lange Operationszeit und bieten aufgrund ihres Eigengewichtes von bis zu drei Kilogramm wenig Komfort. „Mit unserem Verfahren stellen wir mit 3D-Druck innerhalb von 24 Stunden ein System her, das nur noch 193 Gramm wiegt und alle relevanten Kenngrößen und OP-Koordinaten bereits integriert. Die Dauer der Operation, bei der die Patienten wach bleiben müssen, wird enorm verkürzt“, so Winkler. Erste Anwendungen am Patienten sind in den kommenden Monaten geplant.