Die Medtech-Branche passt sich an: Technologie-Experten setzen auf Maskenproduktion, aber auch Start-ups und Quereinsteiger aus der Metallverarbeitung gehen neue Wege.
Einen Schwenk in Richtung Maskenproduktion hat auch der Weinheimer Technologiekonzern Freudenberg vollzogen. Bereits im Mai wurde die Produktion von Mund-Nasen-Masken gestartet, die unter den Namen „Collectex“ – zunächst nur für Deutschland – vermarktet wurden. Das Vlies besteht aus feinen, elektrostatischen Fasern und sorgt für eine hohe Filtration bei vergleichsweise geringem Atemwiderstand, weshalb die Masken wesentlich hochwertiger als normale Baumwollmasken sind, heißt es bei Freudenberg. Langfristig strebt das Unternehmen aber auch einen Einsatz als medizinische Schutzmaske an. Die dafür nötige Sondergenehmigung vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte wird noch in diesem Jahr erwartet, die volle Zulassung mit Zertifikat dann für Frühjahr 2021, vermeldete Freudenberg im August. Drei Geschäftsgruppen der Freudenberg-Gruppe – Freudenberg Filtration Technologies, Freudenberg Home und Cleaning Solutions und Freudenberg Performance Materials – legten dabei ihre Expertise zur Herstellung der technischen Vliesstoffe, der Filtermedien und für die Distribution zusammen. „Ziel war es, unserer Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern und der Gesellschaft gerecht zu werden. Wir haben schnell gehandelt, unsere Kapazitäten ausgebaut und in Produktionsanlagen für die Konfektionierung von Mund-Nase-Maske investiert“, so Mohsen Sohi, CEO der Freudenberg-Gruppe. „Zukaufen müssen wir lediglich die elastischen Ohrbändchen und den Nasendraht für einen guten Sitz der Maske“, sagt Thomas Caesar, Direktor Filtertechnik Industrielle Filtration. Der Produktionsstandort Kaiserslautern lag nahe, da dort ebenfalls die notwendigen Vliesstoffe produziert werden. Im Vier-Schicht-Betrieb an sieben Tagen mit über einhundert teilweise neu eingestellten Mitarbeitern strebt das Unternehmen aktuell eine Menge von etwa 30 Millionen Stück pro Monat an. „Der Prozess läuft automatisiert, aber die Anlagen müssen natürlich bedient und die Masken verpackt werden“, so Caesar.
Markt für Start-up-Innovationen
Aber auch Start-ups tummeln sich im Feld der Maskenproduktion, gerade in der Schweiz. Mitten in der Pandemie gegründet wurde MCARE von Forschern am EFPL und EMPA, die eine transparente Maske aus biobasierten Polymeren entwickeln. Mit Fördergeldern in Höhe von 1 Mio. CHF will das neu gegründete Start-up HMCARE die transparente Maske unter dem Namen „HelloMask“ Anfang 2021 auf den Markt bringen. Die Maske besitzt eine sehr niedrige Porosität der Membran. Diese wird mit einer Porengröße von etwa 100 Nanometern durch das Elektrospinnen hergestellt. Die Anordnung der Fasern sorgt für winzige Zwischenräume, die zwar Luft hindurchlassen, Viren und Bakterien aber zurückhalten. Die organischen Polymere, aus denen die Maske besteht, können bereits zur Produktion genutzt werden. Damit befindet sich eine vollkommen transparente Operationsmaske nun erstmals kurz vor der industriellen Fertigung. Bei der Herstellung mittels Elektrospinnen werden Polymerfilamente mit Hilfe elektrischer Anziehung gedehnt. Für die Massenproduktion sind nur wenige Anpassungen erforderlich. „Unsere Masken bestehen zu 99% aus Biomassederivaten, und wir arbeiten weiter daran, sie vollständig umweltverträglich zu machen“, sagt Thierry Pelet, EFPL-Forscher und Leiter des Projektes.
Das 2005 aus der ETH gegründete Start-up HeiQ Materials wiederum konnte eine antivirale und antibakterielle Textilveredelungstechnologie nun im medizinischen Kontext anwenden – und dafür Partnerschaften mit der Tübinger CHT-Gruppe, der US-amerikanischen Piedmont Chemical Industries sowie dem taiwanesischen Hersteller Jintex schließen. „HeiQ Viroblock“ kombiniert die Silber- mit der Vesikeltechnologie. Die Silbertechnologie wurde ursprünglich von Ingenieur Murray Height zur Geruchsreduktion bei sportlicher Funktionskleidung entwickelt. Dazu kommt nun eine weitere Vesikeltechnik, die dafür sorgt, dass sich eine viruzide Wirkung innerhalb von Sekunden entfalten kann, erklärt HeiQ-CEO Carlo Centonze. „Wir wollen verhindern, dass Textilien zu einer Kontaktoberfläche für die Verbreitung schädlicher Viren und Bakterien werden“, so Centonze. In einem nächsten Schritt wurden neben Masken auch medizinische Schutzkleidung mit dem Virenschutz ausgestattet.
Metallverarbeiter als Maskenproduzent
Doch nicht nur Start-ups haben die Krise als Innovationstreiber nutzen können. Etliche Zulieferer nutzten ihre Kompetenzen gezielt für den Aufbau neuer Aktivitäten – so auch die F&F Lasertechnik aus Neustadt in Holstein. Innerhalb weniger Wochen hat der industrielle Metallverarbeiter eine Produktion für FFP-Atemschutzmasken hochgezogen, die auch langfristig Bestand haben soll. Wie Geschäftsführer Jens Sager betont, ist dieser Schritt einer mit langfristiger Perspektive. „Wenn wir so etwas machen, dann nur, wenn wir auch langfristig am Markt bleiben und nur in der Weise, dass wir auch zertifizierte Produkte bauen. Alles andere wäre nichts für uns“, unterstreicht Sager. Für die FFP-Reihe haben sich die Norddeutschen aufgrund ihrer Maschinenbau-Kompentenz entschieden. „Es ist für uns gut machbar, in hydraulisch verformten Dingen zu denken. Als industrielle Metallverarbeiter können wir uns alles, was wir brauchen, auch bauen – wie beheizte formgebende Werkzeuge“, so Sager. Gleichzeitig setzt er auf einen hohen Automatisierungsgrad, um langfristig im Preiswettbewerb bestehen zu können.
Chiron mit Neuausrichtung
Nichtsdestrotz führt die Krise auch zu einer weiteren Konsolidierung im Zuliefererbereich, wie die Neuausrichtung von Chiron auf die Kernkompetenzen Fräsen und Fräs-Drehen zeigt. „Unser Ziel ist, die Unternehmensgruppe kurzfristig handlungsfähig zu halten und mittelfristig Wettbewerbsvorteile zu schaffen“, sagte Armin Schmiedeberg, Vorsitzender des Verwaltungsrats, Mitte Juli bei der Vorstellung der aktuellen Firmenstrategie. Demnach werden alle deutschen Fertigungs- und Montage-Kapazitäten in den Werken Tuttlingen und Neuhausen o. E. gebündelt. Entsprechend werden die Bereiche Montage und Applikation der Stama Maschinenfabrik GmbH von Schlierbach in das rund 150 Kilometer entfernten Werk in Neuhausen verlagert. Der Standort Schlierbach wird sich künftig auf den Vertrieb und Service der Marke Stama konzentrieren. „Außerdem stärken wir die Branche Präzisions- und Medizintechnik durch eine Kooperation mit einem Schweizer Hersteller für kleine Bearbeitungszentren. Auch die erfolgreich gestarteten Aktivitäten im Bereich additive Fertigung intensivieren wir weiter“, erläutert Geschäftsführerin Vanessa Hellwing. Im Zuge der Umstrukturierung wurde zudem die Scherer Feinbau GmbH an den Werkzeugmaschinen-Spezialisten EMAG verkauft.
Metallfertiger Englert wächst
Der Metallfertiger Englert wiederum konnte die Einbrüche in den Märkten Automotive und Maschinenbau mit wachsender Nachfrage in der Medizintechnik wettmachen. „Wir haben volle Bücher, unser Auftragsbestand ist so hoch wie noch nie“, berichtet Inhaber Michael Englert. Nun erwartet der Wertheimer Zulieferer für das Gesamtjahr ein Umsatzplus von rund 10 Prozent.
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