Risiken bei OPs mit Knieimplantaten durch künstliche Intelligenz besser abschätzen – dieses Ziel verfolgt die BG Klinik Tübingen zusammen mit Aesculap unter dem Dach des Projekts AIQNET.
In jedem Krankenhaus werden zahlreiche Daten generiert und aus medizinischen Gründen gesammelt. Sie liegen in verschiedenen Archivsystemen und häufig in unstrukturierter Form vor: Arztbriefe auf Papier, Untersuchungs- und Laborbefunde als PDF-Dateien. Im Fokus von AIQNET steht die automatisierte Beschaffung, Strukturierung und Analyse dieser Daten mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Koordiniert wird das Gesamtvorhaben von der BioRegio STERN Management GmbH aus Stuttgart. Initiator und Konsortialführer ist die RAYLYTIC GmbH mit Sitz in Leipzig. Das Konsortium aus 16 etablierten Unternehmen der Medizintechnik und der Gesundheitsversorgung war 2019 unter den Gewinnern des KI-Wettwettbewerbs der Bundesregierung. Seit Januar 2020 entwickeln die Partner des vom BMWi geförderten Projekts die technische Infrastruktur und darauf aufbauende Anwendungen.
BG Klinik Tübingen bei AIQNET an Bord
Hinter AIQNET verbirgt sich ein digitales Ökosystem für die sektorenübergreifende, datenschutzkonforme Nutzung medizinischer Informationen. Im Mittelpunkt steht die Strukturierung dieser Daten mit Hilfe von KI. Als Partner an Bord ist unter anderem das Siegfried-Weller-Institut für Unfallmedizinische Forschung (SWI) an der BG Klinik Tübingen, das den Zusammenhang zwischen Nebenerkrankungen der Patienten und deren Einfluss auf das „Outcome“, also das Therapieergebnis, erforscht. Im Rahmen von AIQNET soll die Basis dafür geschaffen werden, dass mithilfe von KI für bestimmte Therapien Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. „Das Ziel ist die frühestmögliche Identifikation von Risikopatienten und die Möglichkeit, auf Knopfdruck Risiken abfragen zu können. Dadurch lassen sich denkbare Komplikationen beim Eingriff minimieren, die Behandlung wird objektiv und subjektiv verbessert“, erklärt Andreas Nüssler, Leiter des SWI.
Use Case Knieimplantate soll Potential von KI im Behandlungsalltag aufzeigen
In Kooperation mit dem Medizintechnik-Unternehmen Aesculap AG wurde für AIQNET der „Use Case“ Knieimplantate gewählt, weil sich hier der Zusammenhang zwischen Implantationsrisiken und Nebenerkrankungen leicht nachvollziehen lässt. „Der Arzt muss entscheiden, welches Implantat für eine bestimmte Konstellation von Patienten am besten geeignet ist“, erklärt Professor Nüssler. „Diese Frage lässt sich einfacher beantworten, wenn die Nebenerkrankungen systematisch erfasst werden. Stichwort ‚Komorbidität‘. Wir erwarten, dass KI, wenn sie entsprechend trainiert ist, auf Grundlage der gebündelten Patientendaten selbst die Schlussfolgerung zieht, dass bei einem bestimmten Patienten ein bestimmtes Problem – etwa das erhöhte Risiko einer Mangelernährung, von der bis zu 25 Prozent, in der Alterstraumatologie sogar bis zu 40 Prozent betroffen sind – vorliegt. Entsprechend gezielt kann daraus ein Handlungsschema entwickelt werden.“
Denn trotz exzellenter Operationstechnik und bester Implantate bringen nicht alle Patienten die gleichen Heilungschancen mit. Wenn beispielsweise jemand Diabetes hat, besteht ein hohes Risiko, eine diabetische Osteopathie zu entwickeln. Entsprechend hoch ist das Risiko, dass es bei diesem Patienten zu Komplikationen kommt, wenn er ein Knieimplantat benötigt. „Bei über 10.000 operativen Eingriffen pro Jahr in der BG-Klinik ist das eine ganze Menge an Risikofaktoren, die die Patienten von zu Hause mitbringen“, sagt Nüssler. Bisher müssen sich die Ärzte allein auf Erkenntnisse stützen, die in aufwendigen klinischen Studien erhoben wurden. Mittels AIQNET soll es nun einfacher werden, nutzbringende Erkenntnisse in der klinischen Praxis anzuwenden.
AIQNET bietet Kliniken Plattform für sichere Datennutzung
Der ethische und datenschutzrechtliche Aspekt ist für Nüssler von zentraler Bedeutung: „Die Kliniken haben einen extrem hohen Aufwand, um die gesetzlichen Regularien einzuhalten, um IT-Sicherheitssysteme zu betreiben und um mit den Patienten im Rahmen der Aufklärung zu besprechen, dass sie ihre Daten zur Verfügung stellen können. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass sie selbst am meisten davon profitieren.“ AIQNET biete die Chance, dass KI Fortschritte im Interesse der Patienten ermögliche. Das digitale Ökosystem sei daher eines der Schlüsselprojekte der BG Klinik. „Wir sehen uns durchaus als Pioniere im modernen Gesundheitswesen“, so Nüssler.