Wer an die Verpackung von Medizinprodukten denkt, könnte meinen: sie steht am Ende des Prozesses und muss auch erst am Ende bedacht werden. Holger Ahr von A&D Verpackungen kann da nur den Kopf schütteln. „Der beste Zeitpunkt, um über eine Verpackungslösung nachzudenken, ist am Anfang: Wenn die Idee für ein Produkt steht“, sagt er. Natürlich kann erst dann final eine Verpackung geplant werden, wenn auch das Design und sonstige Anforderungen an das Produkt final feststehen. „Wer sich aber zu spät in diesem Prozess mit Verpackung beschäftigt, der muss womöglich Kompromisse eingehen, die gar nicht nötig gewesen wären. Und man gewinnt deutlich an Time-To-Market, wenn man sich rechtzeitig kümmert“, betont Ahr. So bietet A&D beispielsweise auch an, auf baugleichen Maschinen Kleinserien zu fahren. „Das hat den Vorteil, dass auch Validierungsprozesse beim Kunden schon parallel vorbereitet werden können, auch wenn unsere Maschinen noch nicht vor Ort sind“, sagt Ahr.
Attraktiver Wachtsumsmarkt
Firmen wie A&D wollen dabei möglichst individuell und flexibel auf Kundenwünsche eingehen. Und der Markt boomt. Firmen wie die Multivac verkünden weitere Wachstumsperspektiven. Das Plus an Umsatz und Mitarbeitern in diesem Jahr soll auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Boekstegers während der Fachmesse Fachpack im September in Nürnberg. Auch internationale Marktanalysen prognostizieren positive Trends für die nächsten Jahre. Ein Blick nach Europa zeigt, dass es hier allerdings viele kleine und mittelgroße Player gibt. Vor allem viele Maschinenanlagenbauer im deutschen Mittelstand haben mal größere oder kleinere Geschäftseinheiten für die Verpackung von Medizinprodukten. Experten sehen derzeit einen leichten Zuwachs in Richtung Medizintechnik, da sich die Marktbedingungen etwa in der Automobilindustrie immer schwieriger gestalten.
Trend zur Konsolidierung
Gleichzeitig ist eine gewisse Konsolidierung zu beobachten, wie an der Röchling-Gruppe aus Mannheim zu sehen ist. Nach der Übernahme eines Unternehmens in den USA ist inzwischen auch die Frank plastic AG aus Waldachtal komplett in die Firma integriert –und firmiert nun unter Röchling Medical Waldachtal AG. Damit setzt der Kunststoffspezialist Röchling die Einbindung des traditionsreichen Anbieters für Medizin- und Industrietechnik in seine Unternehmensgruppe konsequent fort. Im Juli 2018 hatten die Mannheimer die Frank plastic AG mit 260 Mitarbeitern von der Ferdinand Piëch Beteiligungs GmbH übernommen. Als Grund wurde nicht zuletzt die komplexere Regulierung der Medizintechnik-Branche genannt. Gerade kleinere Firmen könnten als Teil einer größeren Unternehmensgruppe perspektivisch besser wachsen, hieß es damals. „Aus der intensiven Zusammenarbeit zwischen Frank plastic und den Röchling-Unternehmensbereichen Industrial und Medical erhielten wir von Anfang an positive Impulse“, sagt Christian Holzherr, Vorstand der ehemaligen Frank plastic AG. Daran werde sich auch unter der neuen Firmierung nichts ändern, weitere Investitionen sind geplant. Dies bestätigt auch der Vorstandsvorsitzende von Röchling, Hanns-Peter Knaebel, der seit der Übernahme auch Aufsichtsratsvorsitzender der Frank plastic AG ist: „Wie bei unseren anderen 90 Standorten der Röchling-Gruppe weltweit, hat Röchling eine sehr große Standorttreue und Loyalität.“ Man wolle den Standort Waldachtal weiterentwickeln und ausbauen. Die neue Namensgebung berücksichtigt, dass das Unternehmen seine überwiegenden Umsätze mit Kunden aus der Medizintechnik macht. Man beliefert unter anderem die Segmente Kardiologie, Infusionstherapie, Angiografie (CT/MRT), Chirurgie und Ophthalmologie.
Wachsende Sicherheitsanforderungen an Medizinprodukte
Ein weiterer Trend, der auch seine Auswirkungen auf die Verpackungsindustrie hat, sind regulatorische Anforderungen an die Sicherheit von Medizinprodukten. Problematisch ist zudem, dass die Medizinproduktehersteller bei der Wahl des Polymers bisher nicht reglementiert und auf sich allein gestellt sind. Die kommende EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR – 2017/745), die am 26. Mai 2020 in Kraft tritt, legt großes Gewicht auf Risikomanagement und Sicherheit der Produkte, regelt allerdings nicht die Materialauswahl. Im Vergleich zu bisher geltenden Richtlinien enthält sie eine Vielzahl neuer Artikel, Regeln und Anforderungen – jedoch keine Aussagen zu den Materialien. Eine Ergänzung in dieser Hinsicht bietet jedoch die im Juli 2019 erschienene endgültige Fassung der VDI-Richtlinie 2017 „Kunststoffe in der Medizintechnik“. Unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen die Zusammensetzung und die Rezepturkonstanz der Kunststoffe, hier sind Blends, Compounds und Masterbatches erfasst. Letztlich bleibt die richtige Wahl des Materials jedoch eine Herausforderung.
Biokunststoffe als Alternative
Vielerorts wird zudem an biobasierten Materialien für die Medizintechnik gearbeitet. Die ITV Denkendorf Produktservice GmbH (ITVP) verwendet bereits Rohstoffe wie Glycolid, Lactid, Caprolacton oder Trimethylencarbonat für die Verarbeitung von Medizinprodukten. Solche resorbierbaren, biokompatiblen Kunststoffe werden als chirurgisches Nahtmaterial, Folien und Membranen zur Wundabdeckung bei Verbrennungen und Gefäßprothesen eingesetzt. Vor allem das Lactid, das als Rohstoff resorbierbarer Polymere verwendet wird, erfüllt mehrere Anforderungen. Es ist biologisch abbaubar, biokompatibel und wird aus erneuerbaren Ressourcen wie Mais hergestellt. Medizintechnik-Hersteller Lohmann & Rauscher wiederum setzt auf bakterieller Nanocellulose für Wundprodukte und recycelbare Verpackungen. „Nachhaltigkeit ist für uns ein kontinuierlicher Ansatz“, sagte Wolfgang Süßle, CEO der L&R-Gruppe, im August anlässlich der Vorstellung des zweiten Nachhaltigkeitsreports seines Unternehmens.
Andere Hersteller wie der Implantat-Spezialist Polytech arbeiten konkret an innovativen biobasierten Materialien –vor allem dort, wo sie auch einen funktionellen Mehrwert bringen. So kooperiert man mit dem Biotech-Unternehmen Amsilk, das Seidenproteine biotechnologisch herstellen kann.Das Biomaterial hat den Vorteil, das es vom Körper als natürliche Oberfläche anerkannt wird und somit zu einer verbesserten Biokompatibilität führt. Präklinische Studien haben bereits eine hohe Verträglichkeit der seidenbeschichteten Implantate ergeben. Amsilk und Polytech erwarten daher, dass dadurch die Seidenbeschichtung auch der Heilungsprozess beschleunigt und postoperative Komplikationen reduziert werden können. Die Nölle Kunststofftechnik GmbH aus Meschede entwickelt wiederum neuartige Schienen zur Ruhigstellung nach Knochenbrüchen. Im Unterschied zu bisher üblichen Kunststoff-Casts kann ihr neues Produkt „Re-Cast“ mehrfach an Veränderungen der zu behandelnden Körperpartie – etwa nach dem Rückgang von Schwellungen – angepasst werden. Darüber hinaus sind die Schienen am Ende der Nutzungsdauer kompostierbar.
Nachfrage in Medizintechnik noch gering
Während in anderen Segmenten die Nachfrage nach biobasierten Materialien stetig steigt, ist sie in der Medizintechnik noch vergleichsweise gering. Auch die Nutzung von weniger Verpackungsmaterial zur Müllvermeidung ist nur selten ein Thema. „Es kommt kaum ein Kunde in der Medizintechnik aktiv auf uns zu, aber wir beraten ihn trotzdem. Denn bei vielen Produkten sind Einsparungen von 20%, bei manchen sogar von 80% möglich“, berichtet Holger Ahr von A&D Verpackungen. Vielfach seien Verpackungen in der Medizintechnik nicht zu 100% funktional bedingt. Es gelte oftmals der Viel-hilft-viel-Gedanke, so Ahr. Vor allem aus Marketingperspektive werde oft zu deutlich mehr Kunststoff gegriffen, als eigentlich von den reinen Produktanforderungen nötig wäre. „Wir werden hier aber langfristig etwas tun müssen. Gern probieren wir mit den Kunden auch neue Lösungen aus“, gibt sich Ahr offen. Auch neue Biokunststoffe probiert er immer wieder aus. Allerdings seien sie im sterilen Umfeld bislang nur bedingt einsetzbar, weil sie eine mehrjährige Stabilität vorweisen müssen.
Krankenhäuser wollen nachhaltiger werden
Hinzukommt, dass mit Blick auf den wachsenden gesellschaftlichen Trend zu mehr Nachhaltigkeit der hohe Plastikverbrauch in der Medizintechnik – etwa bei Einwegprodukten im Krankenhaus – langsam zur Diskussion gestellt wird. Aber es bleibt eine Herausforderung, nicht zuletzt aufgrund der hohen Anforderungen an die Patientensicherheit. So müssen Kanülen, Schläuche oder Spritzen aus Kunststoff nach einmaligem Gebrauch entsorgt werden. Weil sie mit Blut, Chemikalien oder Keimen kontaminiert sein könnten, ist Recycling zumeist nicht möglich. Etwa 60 Prozent seines Abfalls darf beispielsweise das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) deshalb nicht wiederverwerten. Dennoch hat sich das Krankenhaus unter dem Motto „Das grüne UKE“ eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie gegeben und da, wo möglich, umweltfreundlichere Projekte angeschoben. Tabletten etwa lässt sich das UKE nicht mehr in Verpackungen anliefern, sondern als Schüttgut. Auch das Recycling-Problem wird in einigen Krankenhäusern bereits adressiert. Denn bei desinfizierten beziehungsweise sterilisierten Elektrodenspitzen aus Herzkathetern handelt es sich nicht um gefährlichen Abfall, sondern um Teile elektronischer Geräte. Die hier enthaltenen Platinen oder Goldanteile können von Abfallentsorgern wie Remondis wieder aufbereitet werden. Gesammelt werden können diese in 3l-PE-Gebinden mit Verschlussklappe und Kennzeichnung. Das funktioniert beispielsweise im Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum bereits seit zehn Jahren. Andreas Neue, Abfallbeauftragter und zuständig für Klimaschutz- und Gefahrstoffmanagement, sieht die Sammlung der Spitzen unproblematisch: „Die Lanzetten werden in eigens gefertigten Entsorgungsbehältern gesammelt und fest verschlossen dem Verwerter übergeben. Das Personal entfernt vorher die Edelmetallspitzen und ist unterwiesen, nach Abfallschlüssel 180201 zu entsorgen.“ In erster Linie geht es dem Klinikum um den Schutz wertvoller Ressourcen: „Klimaschutz gilt hier als primäre Dienstaufgabe. Wir haben ein zentrales Wertstoffmanagement mit einem dazugehörigen Entsorgungskonzept. Des Weiteren arbeiten wir zur Zeit an einem neuen, moderneren Stoffverwertungskonzept.“
Biopolymere aus Resten von Hygieneartikeln
Und weitere Fortschritte sind zu erwarten: Wie sich Metalle von chirurgischen Einweginstrumenten am besten wiederverwerten lassen, untersucht beispielsweise eine Projektgruppe am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung in Würzburg: Etwa 500 Tonnen solcher Operationsbestecke aus Chromstahl entsorgen deutsche Kliniken alljährlich in Müllverbrennungsanlagen. Das Ziel des Forschungsprojekts ist der Aufbau eines Rücknahmesystems. Aber auch im Bereich Sanitärprodukte gibt es vielversprechende Ansätze. So haben sich im EU-Projekt EMBRACE Unternehmen wie Novamont, Procter & Gamble und Fater mit Wissenschaftlern und Recycling-Experten zusammengeschlossen, um den Zellulose-Anteil von saugfähigen Hygieneprodukten wiederzuverwerten – etwa zur Produktion von Biopolymeren. Aus Deutschland sind hier Forscher der Fraunhofer-Gesellschaft an Bord.
Kreislaufwirtschaft im Fokus der K 2019
Solche Ansätze spiegeln das wider, was inzwischen unter dem Stichwort Kreislaufwirtschaft immer mehr Unternehmen beschäftigt. Gerade Verpackungsunternehmen und Kunststoffproduzenten sind dabei als Akteure gefragt. Wie sehr das Thema an Bedeutung gewonnen hat, war auch auf der Kunststoffmesse K in Düsseldorf zu spüren. Zwei Hauptthemen in diesem waren Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Kunststoffe. „Unsere Industrie hat erkannt, dass sie etwas tun muss, um das Abfallproblem in den Griff zu bekommen. Auf der K waren bereits Lösungen zu sehen, die tatsächlich etwas ändern werden“, hatte Ulrich Reifenhäuser, Präsident der K und Vorsitzender des VDMA-Fachverbands Kunststoff- und Gummimaschinen, auf der Abschlusspressekonferenz zur Messe betont. Mit einerm Forum zur Kreislaufwirtschaft hat sich der VDMA auf der Messe gezielt für das Thema eingesetzt.