2013 hat der Pharmakonzern Bayer sein erstes Accelerator-Programm für Digital-Health-Initiativen gestartet. Jetzt stellt er es noch einmal komplett neu auf. Die Anforderungen an die Start-ups wachsen, dafür winken längerfristige Kooperationen und weitere Finanzierungsmöglichkeiten.
Um in der Digital-Health-Branche zu bestehen, reicht es schon lange nicht mehr aus, eine App zu entwickeln, die den Pulsschlag misst. Das hat auch der Pharmakonzern Bayer festgestellt. „Die Start-ups sind in den vergangenen Jahren insgesamt viel reifer geworden“, sagt Zsuzsanna Varga. Die Molekularbiologin leitet das neue Accelerator-Programm „G4A Partnerships“ bei Bayer. Laut Varga haben die Gründer mittlerweile viel früher eine Vision davon, wie ihr Business Modell konkret aussehen soll, wer im Gesundheitssystem für ihre Lösungen und Produkte überhaupt zahlt und welche regulatorischen Anfordungern erfüllt sein müssen.
Hohes Investitionsvolumen schafft Anreize
Das liegt nicht zuletzt am wachsenden Investitionsvolumen, das für Digital Health Start-ups zur Verfügung steht. Nicht nur unabhängige Venture-Capital-Firmen wie Earlybird oder der High-Tech Gründerfonds, sondern auch Krankenkassen, Pharmafirmen, andere Großkonzerne wie Evonik oder Unternehmen aus dem Tech-Bereich – Google, Apple und Co. – investieren immer mehr in digitale Gesundheitslösungen. Auch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA öffnet sich digitalen Gesundheitslösungen. Im August vergangenen Jahres hat sie die erste Verhütungs-App als Medizinprodukt für den Markt zugelassen. Für Pharmafirmen wie Bayer schafft das hervorragende Anreize und ein gutes Umfeld für neue Digital-Health-Firmen. „Die Mentalität ist in den USA immer noch risikobewusster und -freudiger und die Investorenszene ist reifer, allerdings sind wir hier auf einem guten Weg“, sagt Varga, die selbst lange in den USA gelebt hat.
„Innovationen müssen auch von außen kommen“
Bayer startete als einer der ersten Pharmakonzerne 2013 mit seinem Accelerator-Programm Grants4App. Jetzt richtet der Konzern seine Kooperationen mit Start-ups im Gesundheitsbereich unter dem Label „G4A Partnerships“ neu aus. Statt einmaliger Förderprogramme steht nun die gemeinsame Arbeit an Schwerpunktthemen im Vordergrund. Dazu gehören digitale Therapieformen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Einsatz künstlicher Intelligenz für die Entwicklung neuer Medikamente und neue Plattformen für den Austausch mit Patienten. „Wir wollen, dass aus den Projekten langfristige Partnerschaften zwischen den Start-ups und Bayer entstehen“, erläutert Varga. „Der Ansatz, den wir davor hatten, mit den bisherigen Programmen Accelerator, Dealmaker und Generator hat dem nicht ganz Rechnung getragen.“
Aus ihrer Sicht gab es dafür verschiedene Gründe. So waren beispielsweise die Anforderungen von Bayer an die Start-ups nicht klar abgesteckt. Im neuen Programm hat das Unternehmen nun zehn konkrete Business Challenges formuliert – etwa in den Bereichen digitale Therapien, Neurotechnologien, Onkologie oder Frauengesundheit. Auf diese Weise gibt es einen direkten Zusammenhang zu den Geschäftsfeldern von Bayer. Bis Ende Mai können die Gründer konkrete Lösungsvorschläge für diese Themen einreichen. Gefragt sind nicht nur Health Apps, sondern auch weiterführende Software-Lösungen, Medizinprodukte oder Therapieansätze. Mindestens sechs bis zehn Kollaborationen sollen am Ende des Programms mit Start-ups aus der ganzen Welt entstehen. Damit verabschiedet sich Bayer auch vom Prinzip der ausschließlich lokalen Bindung der Start-ups an Berlin.
Bayer setzt auf Meilenstein-basiertes langfristiges Finanzierungsmodell
Auch das Finanzierungsmodell ist neu. Für die Start-ups gibt es nicht nur eine einmalige Anschubfinanzierung zwischen 50.000 Euro und 100.000 Euro. Bei Erreichen bestimmter Meilensteine winken den jungen Firmen weitere Zahlungen. „Wichtig ist uns, dass die Meilensteine von Anfang an formuliert sind, damit die Gründer eine klare Entwicklungsaufgabe haben“, so Varga. Seit dem Start im 2013 hat der Pharmakonzern mehr als 149 Gründerteams mit seinen Start-up-Programmen gefördert. Daraus sind 29 konkrete Kooperationen entstanden. Zum Beispiel das Berliner Start-up XBird, das 2016 am Accelerator teilnahm. Es hat einen Algorithmus für das Smartphone entwickelt, der das Verhalten und die Aktivitäten von Patienten überwacht und bestimmte Muster erkennen kann. Zum Beispiel können Diabetiker damit digital vor einer Unterzuckerung gewarnt werden. „Wir merken, dass Innovationen auch von außen kommen müssen“, unterstreicht Varga. „Durch die Kooperationen können wir als Konzern bessere Einblicke erhalten, in welche Richtung wir uns entwickeln müssen. Beispielsweise wie man die Medikamentenentwicklung verkürzen kann.“ Daran wird mit dem ungarischen Start-up Turbine.AI gearbeitet, das den Accelerator vor drei Jahren absolvierte. Mit künstlicher Intelligenz kann simuliert und vorhergesagt werden, wie sich Krebszellen auf molekularer Ebene verhalten. Außerdem können virtuell Wirkstoffe getestet werden.
Erschienen in medtech zwo 1.2019