Mit Blick auf die EU-MDR hat sich das Land Baden-Württemberg mit einem Appell an die Bundesregierung und an Brüssel gewandt. In einem Papier werden Erleichterungen bei der Umsetzung gefordert.
Als „wichtigen Schritt“ und „deutliches Signal, jetzt zu handeln“ werten die MedicalMountains GmbH und der Industrieverband SPECTARIS den Appell der baden-württembergischen Landesregierung an Berlin und Brüssel, bei der Umsetzung der EU-MDR dringend erforderliche Weichenstellungen vorzunehmen. Beide Branchenorganisationen waren im Vorfeld bei der Expertenanhörung der Landesregierung dabei und sehen viele ihrer Anliegen aufgegriffen.
Erleichterungen für Unternehmen gefordert
Gemeinsam wenden sich Ministerpräsident Winfrid Kretschmann, Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut und Sozialminister Manne Lucha an die deutsche Bundesregierung und die EU-Kommission. Als Grund wird zunächst auf die große Bedeutung der Branche für das Bundesland hingewiesen. "Baden-Württemberg ist mit 851 Unternehmen und einem steuerbaren Umsatz von 13,79 Mrd. Euro einer der europaweit führenden Medizintechnik-Standorte", heißt es etwa im Brief an Bundeskanzlerin Merkel. "Internationale Großunternehmen wie die Aesculap AG, die Karl Storz GmbH & Co. KG, Carl Zeiss oder die KLS Martin Group sind ebenso Teil unseres Ökosystems wie auch viele kleine und mittlere Unternehmen. Letztere machen weit über 90 Prozent unseres Medizintechnik-Ökosystems aus." Dieses Ökosystem sei nun durch die Defizite bei der Umsetzung der EU-MDR bedroht, heißt es weiter in dem Brief, der medtechzwo.de im Original vorliegt.
An der EU-MDR an sich werde festgehalten, betonen die Unterzeichner. Dort aber, „wo einige Anforderungen von den Unternehmen unverschuldet in der vorgegebenen Zeit faktisch nicht erfüllt werden können oder zu nicht mehr tragbaren Belastungen der finanziellen und personellen Ressourcen der Unternehmen führen“, setze man sich für Erleichterungen und Unterstützung ein. Genannt werden unter anderem die fehlende Funktionalität der EUDAMED-Datenbank, die fehlende Benennung von Expertengremien, der Zertifizierungsstau durch zu wenige Benannte Stellen unter EU-MDR, offene Auslegungsfragen der Verordnung und der Umgang mit Bestandsprodukten. "Betroffene Unternehmen in Baden-Württemberg bezeichnen daher die Defizite bei der Umsetzung der Medizinprodukte-Verordnung als einen echten Innovationskiller", so das Fazit der Landesregierung im Brief. Es wird daher die dringende Bitte ausgesprochen, dass sich die Bundesregierung gegenüber der Europäischen Union für Gestaltungsspielräume bei praktikablen und wirkungsvollen Lösungen einsetzt. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zählt unter anderem die vollständige Implementierung der EUDAMED-Datenbank ohne nationale Alleingänge. Hinsichtlich des Zertifizierungsstaus wird unter anderem die Möglichkeit aufgeführt, eine deutliche Entzerrung im Rechtsregime vorzunehmen, damit sowohl neue als auch Bestandsprodukte nicht zurückgehalten werden müssen.
Einrichtung von Runden Tischen, um unterschiedliche Auslegung der EU-MDR zu klären
Auch wird die Einrichtung von Runden Tischen als eine Option genannt, um einen schnellen Konsens zu widersprüchliche Auslegungen der bereits erschienenen Leitfäden zu finden. Hier gebe es inzwischen viel Klärungsbedarf zwischen Unternehmen und Benannten Stellen. Die im Brief aufgeführten Maßnahmen waren das Ergebnis einer Expertenanhörung im Januar, bei der die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst wurden. Die sich daraus ableitenden Empfehlungen hat die Landesregierung auch in einem Brief an EU-Kommissarin Stella Kyriakides zusammengefasst und einen strukturierten Dialog gefordert, um pragmatische und schnelle Lösungen für die dringlichsten Probleme zu finden. Sie verweist zudem auf den Stellenwert, den Medizinprodukte "made in Europe" haben und dass der Branche durch die neue Regelung kein Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich entstehen sollte.
Die MedicalMountains GmbH und SPECTARIS waren im Rahmen der Expertenanhörung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann eingebunden worden. „Zum einen war und ist es uns wichtig, die aktuelle Situation der Branche mit Beispielen darzustellen“, sagt MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler, „und zum anderen, nicht nur Probleme, sondern realistische und pragmatische Lösungsansätze aufzuzeigen.“ Einige dieser Punkte waren bereits im September vergangenen Jahres vorgebracht worden, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann MedicalMountains besucht und sich mit den Branchenanliegen auseinandergesetzt hatte.
Ohne Entlastung im System ist Versorgungssicherheit in Gefahr
„Baden-Württemberg ist das Medizintechnik-Land Nummer eins“, erinnert Julia Steckeler. Daher falle dem Bundesland eine Führungsrolle zu, auf die Mängel im MDR-System hinzuweisen und eine Verbesserung zu bewirken – ein deutliches Signal an die Verantwortlichen in Berlin und Brüssel, jetzt zu handeln. „Zu viele Medizintechnikunternehmen stehen unverschuldet vor nicht tragbaren Herausforderungen“, betont auch Corinna Mutter, Leiterin Regulatory Affairs und EU-Angelegenheiten bei SPECTARIS. „Das Papier der Landesregierung enthält viele gute Handlungsempfehlungen, wie Entlastung im System geschaffen und Unterstützung gegeben werden kann.“ Ohne solche Maßnahmen werde nicht nur die Industrie ökonomisch hart getroffen, sondern vor allem die Versorgungssicherheit der Patienten gefährdet. Diese Botschaft müsse in der Gesellschaft ankommen. „Wir werden die weiteren Schritte der Landesregierung verfolgen und uns selbstverständlich in Gesprächen weiterhin für eine praxistaugliche funktionierende EU-MDR einsetzen“, betonen Julia Steckeler und Corinna Mutter.
Experten sehen die größte Herausforderung vor allem auch in den nächsten Jahren, wenn sich weitere Engpässe abzeichnen.