Das EU-Parlament hat dem MDR-Moratorium zugestimmt. Damit sind nun für ein Jahr noch Zertifizierungen nach MDD möglich. Wann Neu-Zertifizierungen unter MDR wieder stattfinden können, ist unklar.
Damit hätte noch vor wenigen Wochen niemand gerechnet, und doch ist es passiert. Mitte März gab es von Seiten der Branchenverbände erstmals die Forderung, angesichts der Corona-Krise ein MDR-Moratorium einzuführen. Seit Ende März wurde das entsprechende Verfahren dafür angestoßen. Am 17. April hat das Europäischen Parlament nun der Verschiebung der Frist für die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) um ein Jahr zugestimmt. Dafür wurden die vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Änderungsvorschläge am EU-Kommissions-Entwurf im Europäischen Parlament mit überwältigender Mehrheit angenommen. Experten zufolge treten diese vermutlich Ende April in Kraft, wenn sie im EU-Amtsblatt veröffentlicht sind.
BVMed: Zusätzliche Zeit soll nun von EU-Kommission genutzt werden
Experten begrüßen den Schritt als wichtigen Schritt in der COVID-19-Pandemie, denn Medizinprodukte können damit noch ein weiteres Jahr unter dem aktuellen Rechtsrahmen in Verkehr gebracht werden. Dennoch mahnt BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll: "Die EU-Kommission muss die gewonnene Zeit bis zum neuen Geltungsbeginn am 26. Mai 2021 nun konsequent nutzen, um das MDR-System endlich bereit zu machen: Wir brauchen schnellstmöglich mehr Benannte Stellen, die vorgesehenen Expertengremien sowie die erforderlichen Rechtsakte und Guidances."
Übergangsperiode faktisch verkürzt
Denn Grund zur Entspannung sieht der Branchenverband nicht. "Da nun nur der Geltungsbeginn um ein Jahr verschoben wird, verkürzt sich die Übergangsperiode faktisch von 4 auf 3 Jahre", erläutert Christina Zimmer, MDR-Expertin beim BVMed. Das Enddatum der Übergangsperiode bleibt der 26. Mai 2024, so dass Engpässe im Mai 2024 befürchtet werden müssen. Als Herausforderung wird insbesondere die schleppende Neuzulassung von Medizinprodukten nach der MDR angesehen. Diese Prozesse seien durch die COVID-19-Pandemie so gut wie zum Erliegen gekommen, heißt es. Zudem sehe die am 8. April 2020 veröffentlichte Leitlinie "zu vorübergehenden außerordentlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Prüfungen der Benannten Stelle für Medizinprodukte während COVID-19" keine Fernaudits für Neu-Zertifizierungen sowie Zertifizierungen zu Zweckerweiterungen vor. "Es ist aktuell völlig unklar, wann wieder regelmäßige Vorort-Audits durchgeführt werden können. Dadurch verkürzt sich die Übergangsfrist für bestimmte Produkte weiter", so die BVMed-Expertin.
Nach Ansicht des BVMed bleiben die bisherigen Probleme mit der Umsetzung der MDR damit trotz der Verschiebung bestehen:
- MDR-Neu-Zertifizierungen werden aktuell nicht durchgeführt. Dennoch müssen weitere Benannte Stellen folgen. Die EU-Kommission hatte bis Ende 2019 eigentlich 20 Stellen angekündigt, von denen bis heute erst 12 benannt sind.
- Es gibt Kapazitätsprobleme bei der Neu-Zertifizierung von Produkten bis zum Stichtag im Mai 2021, da sich die Benannten Stellen in der COVID-19-Zeit auf die Verlängerung von Altzertifikaten fokussieren. Wann Neu-Zertifizierungen wieder durchgeführt werden, hängt vom Ende der Pandemie und den damit zusammenhängenden Reiserestriktionen ab.
- Es fehlt an Rechtsakten und wichtigen Guidelines.
- Die Eudamed-Datenbank wurde Ende 2019 auf 2022 verschoben. Wann sie effektiv funktionsfähig sein wird, ist völlig unklar.
Daraus folgt für den BVMed, dass das System immer noch nicht genügend auf die Umsetzung der MDR vorbereitet ist. Die aktuelle Pandemie verschärfe diese Situation zusätzlich. „Wir müssen verhindern, dass das System angehalten wird, weil Remote-Audits nur im eingeschränkten Maß möglich und Neu-Zertifizierungen und Zweckerweiterungen nicht durchführbar sind. Die EU-Kommission muss jetzt dringend ihre Hausaufgaben machen", fordert Möll. Bereits Ende Dezember wurde ein Korrigendum zur MDR im EU-Parlament durchgewunken, das bereits Erleichterungen für etliche Medizinprodukte-Hersteller beinhaltete.
Für Digital-Health-Anbieter: Erleichterung für Markteintritt in Deutschland
Für einige Digital-Health-Anbieter könnte also die Corona-Krise eine unverhoffte Chance bieten. Wer es jetzt noch nicht geschafft hatte, seine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) nach MDR zertifizieren zu lassen, erhält nun nochmal die Chance auf ein Jahr Aufschub. Darüber hinaus eröffnet das Moratorium die Möglichkeit, in Deutschland eine Zertifizierung als Medizinprodukt der Klasse 1 nach MDD anzustreben – hierfür ist dann – anders als im Rahmen der MDR – keine Benannte Stelle nötig. Eine solche Zertifizierung wiederum ist eine wichtige Grundlage dafür, beim BfArM im DiGA-Verzeichnis gelistet zu werden und in die Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu kommen. Am 17. April hat die Behörde einen Leitfaden veröffentlicht, wie das als Fast-Track konzipierte Verfahren funktionieren soll. (mehr)