Eine neue Marktstudie bilanziert: Die Medtech-Branche wird weiter wachsen, aber Wettbewerb und Kostendruck auch. Das sei Herausforderung und Chance zugleich.
Bereits Ende April hatten viele Medtech-Firmen Auftragsrückgänge verzeichnet, wie aus einer Umfrage des Clusters MedicalMountains und des Industrieverbandes Spectaris hervorging, obwohl die Nachfrage nach Atemschutzmasken und Beatmungsgeräten steigt. Nun beschreibt eine neue Marktstudie den bevorstehenden Wandel der Branche. Unter dem Titel „Medizintechnik 2020“ haben die Berater und Rechtsexperten von Luther und Clairfield aktuelle Trends und Entwicklungen analysiert. Erschienen ist die Studie in Zusammenarbeit mit den Branchenverbänden BVMed und VDMA sowie der Universität Stuttgart, dem Medtech-Investor SHS sowie des Clusters MedicalMountains. (mehr Infos hier: https://www.bvmed.de/de/branche/gesundheitswirtschaft/branchenstudien)
Steigende globale Nachfrage erwartet – Asien als Treiber
Den Autoren der Studie zufolge steht der Medizintechnik-Branche in Deutschland und Europa ein tiefgreifender Veränderungsprozess bevor. Viele verschiedene Trends kommen dabei zusammen. Zunächst konstatieren die Experten eine grundsätzlich steigende Nachfrage nach Medizinprodukten. „Der Medizintechnikmarkt wächst nachhaltig. Besonders interessante Bereiche sind minimal-invasive Chirurgie, Digital Health und Robotik“, sagt etwa Uwe Steinbach, Geschäftsführer der SHS Gesellschaft für Beteiligungsmanagement mbH. Und auch Christian Koziol, Professor an der Universität Tübingen, bestätigt: „Die Medtech-Branche ist stabil, sehr innovativ und insgesamt weniger schwankend und konjunkturabhängig als andere Branchen.“ Für das Jahr 2020 wird der globale Medtech-Umsatz auf 484 Mrd. US-Dollar geschätzt, bis 2025 wird ein Wachstum auf 615 Mrd. US-Dollar prognostiziert. Als attraktive Wachstumsmärkte werden vor allem China, Indien und Brasilien eingestuft. „Das steigende Einkommensniveau sowie starke Investitionen in die Gesundheitsinfrastruktur werden das Marktpotenzial für Medizinprodukte erhöhen“, heißt es in der Studie.
Digitalisierung als Herausforderung
Gleichwohl sehen die Autoren der Studie auch eine Vielzahl von Herausforderungen auf die zumeist mittelständisch geprägte deutsche Medtech-Branche zukommen. Dazu zählt unter anderem der Umgang mit der Digitalisierung. Strukturelle Hemmnisse – insbesondere in Technik, Ausbildung und Finanzierung – könnten hier ein Weiterkommen Deutschlands erschweren, heißt es. Gleichzeitig ist Deutschland mit großen Kompetenzen im Bereich Sensorik ausgestattet, und die Corona-Pandemie würde digitalen Lösungen in der Analyse und Diagnostik nun einen neuen Stellenwert zukommen lassen. Auch der Bereich E-Health hat inzwischen einen großen Schub erfahren, sodass eine stärkere digitale Vernetzung deutscher Gesundheitsakteure immer besser vorankommt. Als weitere wichtige Trends, die die Branche maßgeblich beeinflussen werden, nennen die Autoren die patientenindividuelle Medizintechnik und hier insbesondere die große Rolle des 3D-Drucks. Darüber hinaus werden Robotik und vernetzter OP als zentrale Technik-Trends im Krankenhauswesen erläutert. „Medtech-Anbieter entwickeln sich weg von reinen Produktanbietern hin zu Systemanbietern“, schreiben die Autoren. Es werde daher immer relevanter Schnittstellen zu Fremdanbietern herzustellen, um einen vernetzten OP-Saal zu ermöglichen.
Wachsender Konsolidierungsdruck
Neben diesen technisch-bedingten Entwicklungen sehen die Autoren zudem einen stark gestiegenen Wettbewerb sowie Kostendruck im System. Auch die verschärften regulatorischen Anforderungen tragen dazu bei, dass insgesamt ein großer Konsolidierungsdruck in der Branche vorherrsche. Inzwischen würden viele Übernahmen und Zukäufe themenübergreifend durchgeführt oder von branchenfremden Unternehmen initiiert. Man wolle sich vor allem Know-how zukaufen, Ressourcen und Kapazitäten erweitern oder sich Zugang zu neuen Kundengruppen verschaffen. Dies gelte vor allem für große Konzerne, die eine wachsende Marktmacht erfahren.
Die Branchenverbände stimmen die Daten verhalten zuversichtlich. Zwar seien die dramatischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in ihrem ganzen Ausmaß noch nicht abzuschätzen und die Herausforderungen groß, aber „insbesondere die kleinen und mittelständischen Medtech-Unternehmen können auch neue Chancen und neue Märkte nutzen“, bilanziert BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll.
Geschäftsmodelle zunehmend digital ausrichten
Um langfristig erfolgreich zu sein, müssten Medtech-Unternehmen ihre Geschäftsmodelle zunehmend auch digital ausrichten und die spezifischen Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit beachten. Die aktuelle Herausforderung der stark gestiegenen regulatorischen Anforderungen haben zudem Auswirkungen auf die technologische Entwicklung, die Innovationsgeschwindigkeit und die Geschäftsmodelle der Unternehmen in unterschiedlichen Märkten und können damit letztlich die Ertragskraft und den Unternehmenswert maßgeblich beeinflussen, so laut Marktstudie.
Medtech-Markt Asien als Chance
Zusätzlich wird eine weitere Herausforderung im Asiatischen Markt gesehen. Denn „in absehbarer Zukunft wird Asien zum wichtigsten Wachstumsmotor im globalen Medizintechnikmarkt avancieren“, so die Autoren und schlussfolgern: „Das Marktvolumen wird innerhalb der nächsten Jahre aufgrund der wachsenden Mittelschicht in der asiatischen Region stark ansteigen. Asien wird Europa zukünftig von Platz 2 der wichtigsten Medtech-Märkte verdrängen. Die Hersteller im Bereich Medizintechnik müssen sich auf den Emerging Markets frühzeitig positionieren, um eine Führungsrolle einzunehmen.“ Der Marktzugang wird jedoch durch die regulatorische Komplexität, dem Mangel an Fachkräften sowie der inadäquaten Infrastruktur und dem intensiven Wettbewerb erschwert.
Wachstum durch Zukäufe
Die Autoren empfehlen den mittelständischen Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle auf den fortschreitenden Preisdruck, die zunehmende Digitalisierung und den Wettbewerb zu überprüfen und durch Eigenkapital oder mittels Zusammenschlüssen neue Technologien zu entwickeln und neue Geschäftsmodelle zu realisieren. Start-ups können zudem auf Venture-Capital-Gesellschaften zurückgreifen. So steigt vor allem im Bereich der Software, der Wearables und der Diagnostik mittels Big Data die Zahl der Neugründungen. Außerdem drängen branchenfremde Unternehmen aus der Automobilbranche und aus dem IT-Sektor verstärkt in den Medizintechnik-Markt, wodurch sich neue strategische Allianzen und Zusammenschlüsse bilden können, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Die vollständige „Marktstudie Medizintechnik 2020“ gibt es hier: https://www.bvmed.de/de/branche/gesundheitswirtschaft/branchenstudien