Laser statt Säge, Bohrer oder Fräse – den robotergestützten Laser-Osteotom der Medtech-Firma AOT haben Chirurgen in Basel weltweit erstmalig zum Schneiden eines menschlichen Knochens eingesetzt.
Trotz der enormen medizinischen Fortschritte greifen Chirurgen nach wie vor zur Säge, wenn es um Knochenschnitte geht. Denn medizinisch einsetzbare Lasertechnologien haben bislang nur Erfolge u.a. in Dermatologie und Ophthalmologie erzielt, aber nicht in der Knochenchirurgie. Laserstrahlen waren zum Schneiden von Knochen bisher nicht geeignet, weil die punktierte Stelle zu heiß wurde und damit das umliegende Knochengewebe verbrannte.
Oberkieferkorrektur mit digitaler Knochenchirurgie
Nun könnte die robotergestützte Plattform CARLO (Cold Ablation Robot-guided Laser Osteotomy) der Schweizer Medtech-Firma Advanced Osteotomy Tools AG (AOT) eine neue Option bieten. Kernelemente sind ein 3D-Planungs- und Navigationssystem, ein ergonomischer Handling-Roboter sowie ein neuartiges Laser-Trennverfahren mitsamt sehr genauer Echtzeit-Tiefenkontrolle. Nach acht Jahren Entwicklung und diversen Vortests wurde nun Anfang Juli am Universitätsspital Basel erstmals eine Oberkieferkorrektur mit CARLO durchgeführt, wie das Krankenhaus in einer Pressemitteilung berichtet. „Mit diesem First-In-Man-Einsatz eines Systems, das den gesamten Ablauf des Eingriffs digitalisiert, untermauert das Universitätsspital Basel seinen Anspruch, in der Digitalisierung der Medizin ganz vorne mitzuspielen», sagt Spitaldirektor Dr. med. Werner Kübler.
Hergestellt wird der Roboter von der im Jahr 2010 gegründeten AOT, einem Spin-Off der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel. Gesteuert wird der Chirurgie-Roboter von einem Computer, den ein Chirurg ausgehend von einer Computertomographie für die Operation programmiert. Anschließend führt der einarmige CARLO unter Aufsicht des Chirurgen den Schnitt mittels Laserstrahl selbständig, präzise und kontaktfrei durch. Weil es keinen Kontakt zum Knochen gibt, sinkt das Infektionsrisiko. Mit dem Laser können zudem sehr exakte geometrische Strukturen geschnitten werden, die manuell nicht realisierbar sind. AOT ist nach eigenen Angaben das erste Unternehmen weltweit, das eine solche chirurgische Roboterplattform entwickelt hat, um Knochen mittels ‘kalter‘ Laserablation zu schneiden. Diese digitalgestützte ‘Laser-Osteotomie‘ eröffnet die Chance, Knochenoperationen auf Basis vorgeplanter Schnittlinien automatisch und präzise durchzuführen. CARLO verspricht im klinischen Einsatz mehrere Vorteile: Mit einer Schnittbreite von nur 0,2 Millimeter sind die Knochenschnitte fünf bis zehn Mal feiner als jene einer konventionellen oszillierenden Knochensäge. Darüber hinaus kann der Laser-Roboter auch Wellenlinien, Zickzackmuster, Kurven, S-Formen oder puzzleförmige Teile schneiden. Damit lassen sich Knochen besser wieder zusammenfügen, was die Heilung wesentlich beschleunigt, weniger Komplikationen zur Folge hat und die Stabilität der Knochen-Rekonstruktion stärkt. CARLO hat aber auch ganz praktische Vorteile: denn für den Schnitt sind keine Instrumente nötig, die gereinigt, kontrolliert, gewartet und steril verpackt werden müssen.
Die Schweizer AOT arbeitet für ihr Projekt CARLO mit der Augsburger KUKA AG zusammen, einem der weltweit führenden Anbieter von Robotik sowie Anlagen- und Systemtechnik: Zur präzisen Durchführung von AOTs „robot-guided“ Laserchirurgie kommt ein KUKA-Roboter zum Einsatz, der nach den einschlägigen Standards zertifiziert ist. Nun wurde die neuartige Chirurgieplattform der AOT erstmals am Menschen eingesetzt – bei einer Oberkieferkorrektur am 3. Juli. An der First-In-Man-Studie sind das Universitätsspital Basel, das Kantonsspital Aarau sowie das Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH) beteiligt. Die Ergebnisse sollen als Basis für die CE-Kennzeichnung der Plattform als Medizinprodukt dienen: sie soll die Leistungsfähigkeit und Sicherheit im klinischen Umfeld demonstrieren. „Es freut uns sehr, dass wir den klinischen First-In-Man-Einsatz von CARLO erreicht haben. Es wurde erstmalig eine kontaktlose robotische Chirurgie durchgeführt, welche durch unsere Lasertechnologie ermöglicht wurde“, betont AOT CEO Cyrill Bätscher.
Bei der ‘kalten‘ Ablation wird der Knochen Schicht für Schicht mit Hilfe eines Lasers abgetragen. CARLOs Laserstrahl erhitzt lediglich das in den Knochen enthaltene Wasser, während das Gewebe unversehrt bleibt. Durch kleine Mini-Explosionen sprengen Wasser-Partikel das Knochengewebe quasi weg. So entstehe dann der Schnitt, im Gegensatz zur Knochensäge ohne anfallendes Knochenmehl. Dieses verstopft bei herkömmlichen Operationen mit der Säge oftmals die Poren und erschwert die Heilung. Bei CARLO wird nun der Knochen nicht überhitzt, die Mikrostruktur bleibt intakt und lebensfähig, was eine bessere Vaskularisierung und schnellere Heilung ermöglicht.
Patientensicherheit auch ohne Haptik
Nach Meinung von CEO Bätscher bedeutet diese Vorgehensweise eine hohe Patientensicherheit, die auch ohne Haptik erreicht werden kann. „Obwohl der Laser selbst keine Haptik besitzt, kann CARLO mit Lichtgeschwindigkeit gestoppt und bei unvorhergesehenen Ereignissen leicht entfernt werden. Das ist mit den heutigen robotergestützten Geräten nicht möglich“, sagt Philipp Jürgens. Der Professor hat die erste Operation mit der Plattform durchgeführt, er ist CMF-Chirurg am Universitätsspital Basel und Mitbegründer von AOT.
Das Gerät hat bereits eine lange Entwicklungsphase hinter sich. Aufbauend auf mehreren präklinischen Studien konnten Leistung und Sicherheit der kontaktlosen Lasertechnologie gezeigt werden: Demnach verläuft der Knochenheilungsprozess schneller verläuft. Darüber hinaus erlaubt das kalte Laserschneiden frei definierbare Schnittmuster und damit neue und schonendere Operationstechniken. Zugleich ist der Laser universell einsetzbar; im Prinzip kann man Knochen von Kopf bis Fuß schneiden. Ein weiteres Potenzial liegt im digitalen Ansatz des Produkts. „Die kontaktlose Lasertechnologie CARLO ermöglicht es, den gesamten Prozess vollständig zu digitalisieren. Außerdem kommen keine mechanischen Instrumente mehr zum Einsatz, die sich unter Last verformen“, betont Erich Platzer, Vorsitzender des AOT-Verwaltungsrates.
CE-Kennzeichnung im ersten Halbjahr 2020 erwartet
Bis zum Ende des Jahres soll die Einreichung zur CE-Kennzeichnung erfolgen, so dass im Laufe des ersten Halbjahres 2020 das Zertifikat vorliegen könnte. „Wir gehen davon aus, dass das klinische Interesse an dieser innovativen Plattform nach der Freigabe für den kommerziellen Vertrieb in den kommenden Monaten groß sein wird“, führt Bätscher abschließend aus. Die Laser-Osteotomie ist ein aufstrebendes neues Feld in der Knochenchirurgie mit großem Potenzial. So arbeitet AOT derzeit auch an einer Echtzeit-Gewebeanalyse, die während der Operation stattfindet. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und dem Feedback des Lasers wird es möglich sein, krankes und gesundes Gewebe in Echtzeit während des Schneidens zu unterscheiden.
AOT ist seit 2014 ein Portfolio-Unternehmen der Tübinger SHS Beteiligungsgesellschaft. Damals wurde eine Serie-B über mehrere Millionen Franken abgeschlossen, an der auch auch mehrere Business Angels aus der Schweiz sowie die Zürcher Kantonalbank (ZKB) beteiligt war. Zuletzt wurde 2016 eine Serie C-Finanzierungsrunde in Höhe von 11,5 Mio. Schweizer Franken durchgeführt. Hierbei konnte die AOT AG weitere Investoren wie die Aesculap AG gewinnen.